Viele mittelständische Betriebe sind aus konjunkturellen oder betrieblichen Gründen auf Zeitarbeiter und geringfügig Beschäftigte angewiesen. Zu selten werden dabei aber neben den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen die sozialen und psychischen Nebeneffekte abgewogen, die nicht nur den Betroffenen selbst zu schaffen machen, sondern auf das gesamte Betriebsklima ausstrahlen und sogar Wahlen beeinflussen können. Wie stark diese Einflüsse sind, hat die Bertelsmann Stiftung durch Wissenschaftler der Universität Bamberg ermitteln lassen.
Die Bamberger Forscher führten eine repräsentative Befragung bei 1633 Arbeitnehmern durch und konnten feststellen, dass die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen umso geringer ist, je unsicherer oder prekärer die Arbeitsverhältnisse sind. Atypisch Beschäftigte gaben an, seltener (58 %) einen bedeutsamen Beitrag für die Firma zu leisten als Arbeitnehmer in einem normalen Arbeitsverhältnis (78 %). Vor allem Zeitarbeiter sind weniger stolz auf Teamerfolge (55 %) als ihre in einem normalen Arbeitsverhältnis angestellten Kollegen (75 %). Am deutlichsten lässt sich die berufliche Unzufriedenheit am Wunsch ablesen, bei der derzeitigen Arbeitsstelle weiterbeschäftigt zu werden (49 % atypisch Beschäftigte; 71 % unbefristet Vollzeitbeschäftigte).
Zeitarbeiter beurteilen auch ihre eigene wirtschaftliche Lage im Mittel entsprechend schlechter (34 % „schlecht“ oder „sehr schlecht“) als Beschäftigte, die unbefristete Arbeitsverträge in Vollzeit (8 % „schlecht“ oder „sehr schlecht“) hatten. Sie sind vor allem mit ihrer beruflichen Situation (24 %), aber auch mit ihrem Privatleben (10 %) weniger zufrieden als ihre unbefristet in Vollzeit beschäftigten Kollegen (4 %).
Die berufliche Situation beeinflusst aber auch die Sicht der gesellschaftlichen und polititschen Lage: Viele Zeitarbeiter und geringfügig Beschäftigte sind offensichtlich über das politische und wirtschaftliche System in der Bundesrepublik desillusioniert. Nur etwas mehr als ein Viertel der Zeitarbeiter und etwa ein Fünftel der geringfügig Beschäftigten sind mit der Demokratie zufrieden. Bei den Arbeitnehmern in unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnissen sind es dagegen 42 %. Wäre morgen Bundestagswahl, würden sehr wahrscheinlich 10 % weniger Zeitarbeiter und geringfügig Beschäftigte zur Wahl gehen als Arbeitnehmer in Normalarbeitsverhältnissen. Bei der Entscheidung für eine Partei würden sich Zeitarbeiter und geringfügig Beschäftigte mit fast 20 bzw. 16 % für „Die Linke“ entscheiden, während dieser Partei nur 8,6 % der unbefristeten Vollzeitarbeiter zuneigen.
Auch der Glaube an Gerechtigkeit in der deutschen Gesellschaft scheint bei den Befragten deutlich erschüttert zu sein. So meinen 58 % der Zeitarbeiter, dass es hierzulande ziemlich oder sehr ungerecht zugehe, Arbeitnehmer im Normalarbeitsverhältnis dagegen nur zu 36 %.
Programmleiter Martin Spilker von der Bertelsmann Stiftung sieht in den Ergebnissen eine akute Problematik für die Wirtschaft: „Eine der zentralen Herausforderungen für Unternehmen ist der Spagat zwischen der betrieblichen Flexibilität und den vertraglichen Arbeitsbedingungen. Gerade durch die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse droht ein Verlust an Motivation und Teilhabe in den Betrieben.“ (Quelle: Bertelsmann Stiftung/ml)