Der Wissenschaftler Nicholas Negroponte plant ein 100-Dollar-Notebook für Entwicklungsländer. Auch mittelständische Unternehmen entdecken derzeit die ärmsten Länder der Welt als Markt. Der Journalist Reinhard Gloggengießer hat ein öffentliches Interview mit dem Visionär zusammengefasst.
Er will ein Notebook für 100 Dollar – und das nicht etwa, weil er Geiz für geil hält. Der US-Forscher Nicholas Negroponte konzipiert ein Billig-Notebook für Entwicklungsländer. Dortige Schulen sollen die Geräte im Unterricht einsetzen, damit die Kinder Anschluss an die moderne Technik und ans Internet finden und so bessere Zukunftschancen erhalten – Bildung als entscheidender Schritt zur Selbsthilfe. »One Laptop Per Child«, ein Laptop für jedes Kind, taufte Negroponte, Leiter des renommierten Media Labs am Massachusetts Institute of Technology (MIT), sein ehrgeiziges Projekt.
Welche kommerziellen Interessen stecken hinter dem Projekt?
Den Zulieferern und Herstellern werden eine Gewinnmarge von 10 Prozent zugestanden. Das MIT wird die Notebooks an die Bildungsminister der Entwicklungsländer zum Herstellungspreis verkaufen, auf dem freien Markt werden sie nicht erhältlich sein. China und Brasilien haben Interesse signalisiert. Brasiliens Präsident Lula da Silva hat bereits eine Bestellung von zwei Millionen Geräten in Aussicht gestellt. Langfristig sehen wir ein Marktpotential von mehr als 800 Millionen Notebooks für Afrika, den nahen Osten und Südostasien. Die größte Hürde dürfte sein, derart große Stückzahlen herzustellen. Die ersten 100 000 Geräte werden Ende 2006/Anfang 2007 ausgeliefert, danach folgen weitere 100 bis 200 Millionen Stück jährlich. Produziert werden die Geräte im jeweiligen Abnehmerland, anfangs aber wohl vorwiegend in China.
Wie werden diese Notebooks konfiguriert sein?
An technischer Ausstattung bringt das Notebook unter anderem einen AMD-Prozessor mit 500 MHz, 256 MByte Arbeitsspeicher und 1 GByte Flashspeicher als Festplattenersatz. Ein Chip unter der Tastatur erzeugt das Bild und projiziert es auf das 12-Zoll-Display, das nur 30 Dollar in der Herstellung kostet und auch bei starker Sonneneinstrahlung funktioniert. Für die Stromversorgung setzen wir auf alternative Techniken, zum Beispiel eine Kurbel. Die Geräte werden vom Start weg über WLAN miteinander verbunden. Wir suchen auch nach Möglichkeiten, sie zu günstigen Preisen ans Internet anzuschließen.
Mit welchen Herstellungskosten ist zu rechnen?
Die extrem niedrigen Kosten von 100 Dollar will das MIT durch die hohen Stückzahlen und den Verzicht auf Zwischenhändler und Marketing erreichen. Neben AMD beteiligen sich Brightstar, Google, News Corp und Red Hat am Projekt. Microsoft fehlt in der Liste: Windows bleibt außen vor. Statt dessen kommt Linux zum Einsatz. Und das, obwohl Microsoft seit kurzem in Thailand, Indien und Indonesien, Brasilien, Malaysia und Russland für 30 Dollar eine Windows-XP-Variante in der jeweiligen Landessprache anbietet. Mit der Starter Edition laufen jedoch nur maximal drei Programme gleichzeitig, die Bildschirmauflösung beträgt niedrige 800 x 600 Pixel. Und außer dem Internet-Zuang sind keine Netzwerkfunktionen enthalten.
Es stellt sich die Frage, wie billig Computer künftig produziert werden.
Den Anfang machte Microsoft beim Personal Internet Communicator, den AMD Ende vergangenen Jahres vorstellte. Der Mini-PC mit AMDs Geode-Prozessor und Windows CD kostet 185 Dollar, mit Monitor 250 Dollar. Das Gerät ist der erste Baustein von AMDs 50x 15-Initiative, die AMD-Chef Hector de Jesus Ruiz beim Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt hatte. Sie sieht vor, 50 Prozent der Weltbevölkerung bis 2015 mit Computern und einem Zugang zum Internet zu versorgen.
Zwei weitere Billig-PCs mit Linux stehen kurz vor der Markteinführung. Der indische Hersteller HCL Infosystems bringt für 190 Euro einen Desktop mit 1-GHz-Prozessor, 128 MByte Arbeitsspeicher, 40-GByte-Festplatte und 15-Zoll-Monitor. Encore Software, ebenfalls ein indisches Unternehmen bietet für 180 Euro das Notebook Mobilis mit 400-MHz-Prozessor und 128 MByte Arbeitsspeicher. Das Gerät soll mit 7- oder 7,5-Zoll-Display erhältlich sein, nur 750 Gramm wiegen und sechs Stunden am Stück laufen. Das sind Eigenschaften, die durchaus auch europäische Kunden zu schätzen wüssten.
Sind billige Computer der einzige Grund für diese Initiative?
Ins Geschäft mit den Entwicklungsländern wollen auch die Handyhersteller kommen. 30 Dollar könnten Billig-Handys ohne Subventionen und Vertragszwang kosten. Unabhängig davon kündigte Philips bereits im Juni Geräte zum Stückpreis von unter 20 Euro an.
Dahinter steckt also weniger der Idealismus eines Negroponte als vielmehr die Hoffnung auf gigantische neue Märkte: 80 Prozent der Weltbevölkerung leben in Gebieten mit Mobilfunkversorgung. Doch nur jeder Vierte davon nutzt bislang ein Handy.