Standen mehrere Jahre lang Kostenvorteile bei der Verlagerung einfacher Prozesse in Niedriglohnländer im Fokus, setzt sich jetzt eine neue strategische Ausrichtung im sogenannten Offshoring durch. Immer mehr Firmen bedienen sich des globalen Arbeitsmarktes, um auf hoch qualifizierte Fachkräfte zurückzugreifen und geben zunehmend strategisch wichtige Aufgaben wie Produktdesign, Wettbewerbsanalyse oder Liquiditätsmanagement ins Ausland. Gleichzeitig wächst die Sorge, die Kontrolle über die verlagerten Funktionen zu verlieren, was langfristig den unternehmerischen Erfolg gefährden könnte.
Zu diesem Ergebnis kommt die internationale Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton in einer Untersuchung, die gemeinsam mit Duke CIBER und der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) im Jahr 2006 durchgeführt wurde. Die global angelegte Studie analysierte die Offshoring-Aktivitäten von 70 deutschen Unternehmen und verglich sie mit denen von rund 460 Firmen aus den USA, Großbritannien, Spanien, den Niederlanden, Belgien und Skandinavien.
Von den 70 untersuchten deutschen Unternehmen haben fast zwei Drittel bereits Offshoring-Aktivitäten gestartet. 80% verfolgen vorrangig das Ziel, Kosteneinsparungen zu realisieren. Der Zugang zu qualifiziertem Personal ist dabei nur für die Hälfte der deutschen Unternehmen (52%) von Bedeutung. Damit folgen sie noch nicht dem internationalen Trend, Offshoring zur Besetzung hoch qualifizierter Fachkräfte zu nutzen – im Gegensatz zu den immerhin 69% US-amerikanischen Unternehmen. Diese sehen sich durch die verschärften Wettbewerbsbedingungen zunehmend dem Druck ausgesetzt, die Zeit von der Entwicklung bis zur Marktreife eines Produkts deutlich zu verkürzen. „Für Unternehmen in Industrienationen wurde es in der Vergangenheit zunehmend schwierig, ausreichend gut ausgebildete Ingenieure und Naturwissenschaftler zu finden“, sagt Stefan Stroh, Geschäftsführer bei Booz Allen Hamilton. „Offshoring ist eine Möglichkeit, neue Talente einzubinden und damit das unternehmerische Wachstum nicht zu beeinträchtigen. Auch in Deutschland wird dies in den kommenden Jahren verstärkt in den Vordergrund rücken.“
Die deutschen Unternehmen streben für ihre Offshoring-Projekte in andere Zielländer als die US-Firmen. Während 45% aller Verlagerungen nach West- oder Osteuropa und nur 19% nach Indien gehen, entschieden sich jenseits des Atlantiks 41% für den asiatischen Subkontinent als Offshoring-Ziel, aber nur 14% für West- und Osteuropa.
Diese unterschiedliche Strategie erklärt sich unter anderem aus der abweichenden Einschätzung der Risiken. 41% der deutschen Unternehmen sehen in den kulturellen Unterschieden zwischen dem Ursprungs- und dem Zielland einen wichtigen Unsicherheitsfaktor, während in den USA die Sorge um die Service-Qualität überwiegt (64%). Zu den kulturellen Differenzen zählen sprachliche Probleme und andere Wertesysteme – Risiken, die deutsche Firmen durch ihr Engagement in Osteuropa zu begrenzen versuchen.
Die Mitgliedschaft in der EU wird als weiterer Vorteil angesehen. So präferieren beispielsweise viele deutsche Unternehmen Polen vor Rumänien oder vor den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Die regionale Nähe ist auch Grund dafür, dass die notige Service-Qualität schneller erreicht wird: Bei 40% der ausländischen Implementierungen konnten die Deutschen innerhalb der ersten fünf Monate die erwartete Leistung erzielen. Die Erfolgsquote ihrer amerikanischen Kollegen liegt hingegen bei nur 30%. Das schlechte Abschneiden der Amerikaner ist weiterhin darauf zurückzuführen, dass längerfristige Erfahrungswerte für das Auslagern der höher qualifizierten Jobs bislang noch fehlen.
Durch die lokale Nähe des Offshorings verzichten die Deutschen andererseits jedoch auf Einsparungen. Sie verringern nur 24% ihrer Inlandskosten durch Offshoring, während US-amerikanische im Durchschnitt Kostenvorteile in Höhe von insgesamt 38% verzeichnen können. „Deutsche Unternehmen verschenken hier Potenzial“, sagt Stroh. „Mit zunehmender Bedeutung von Offshoring müssen sie eine organisationsübergreifende Strategie entwickeln, um die Chancen eines globalisierten Arbeitsmarkts umfassend für sich zu nutzen. Das setzt auch voraus, die Auslagerungsaktivitäten unternehmensintern an zentraler Stelle zu koordinieren und in eine Gesamtstrategie einzubetten.“
Die Studie kann kostenlos im Internet abgerufen werden. (na/ml)