Deutlicher könnte die Warnung des Sachverständigenrats an die Parteien in Deutschland nicht ausfallen: Der Titel ihres Jahresgutachtens 2007/08 lautet „Das Erreichte nicht verspielen“. Dabei ist die Bilanz ausgesprochen positiv: Nach dem starken Aufschwung im Jahr 2006 mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um nahezu 3%, präsentiere sich die deutsche Volkswirtschaft 2007 in einer weiterhin guten Verfassung.
Das Bruttoinlandsprodukt habe trotz der dämpfenden Effekte der Umsatzsteuererhöhung und der Verunsicherungen infolge der im Sommer virulent gewordenen Krise auf den Finanzmärkten um 2,6% zugenommen. Da die weltwirtschaftlichen Risiken gestiegen sind, werde sich die Expansion aber verlangsamen. Im kommenden Jahr sei deshalb mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 1,9% zu rechnen, prognostizieren die Ökonomen. Diese Abschwächung der Dynamik sei aber kein Indiz dafür, dass der Aufschwung zum Erliegen komme oder gar eine Rezession bevorstehe.
Das Lob der Gutachter im heute vorgelegten Gutachten geht an viele unterschiedliche Akteure: Die aktuell gute Verfassung, in der sich die deutsche Volkswirtschaft befindet, sei nicht nur das Ergebnis der zu Beginn des Jahres 2005 einsetzenden kräftigen konjunkturellen Erholung, sondern auch eine Folge tief greifender und viele Bereiche umfassender Anpassungsprozesse an den gestiegenen Wettbewerbsdruck auf den globalen Güter- und Faktormärkten, betonen die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten. Die Politik habe mit zum Teil sehr weit reichenden Reformen auf den Feldern der Besteuerung, des Arbeitsmarkts und der Sozialen Sicherung zum wirtschaftlichen Comeback Deutschlands beigetragen. Nicht zuletzt gelte dies auch für die Tarifvertragsparteien, die mit moderaten und flexiblen Lohnvereinbarungen einen wichtigen Beitrag zu der deutlichen Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen geleistet hätten. Ende des Jahres 2007 sei der Wirtschaftsstandort Deutschland wesentlich besser positioniert, als dies zur Zeit der letzten Aufschwungphase der Fall war.
Mit dem Titel des Gutachtens „Das Erreichte nicht verspielen“ solle aber zum Ausdruck gebracht werden, dass die durch die Reformen der vergangenen Jahre und die gegenwärtige positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung eröffneten größeren Handlungsspielräume nur unzureichend zu einer weiteren Verbesserung der Wachstumsbedingungen genutzt wurden, so die Autoren des Gutachtens. Vielmehr drohten ihrer Meinung nach richtige und wegweisende Reformen konterkariert, wenn nicht sogar zurückgedreht zu werden: So die „Rente mit 67“, das Arbeitslosengeld II oder die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds. Es gelte aber, die gewonnenen Spielräume nicht zu vertun.
Gute Politik erfordere nicht immer die großen Würfe. Auch eine dem politischen Kompromissgebot geschuldete Politik der kleineren Schritte könne eine gute Politik sein, vorausgesetzt, die Schritte gehen in die gleiche Richtung und folgen einer Konzeption. Leider sei − anders als in der letzten Legislaturperiode − eine solche klare Richtung nicht erkennbar, rüffeln die Ökonomen die Regierung. Noch bestehende Probleme, für die Lösungen in ökonomisch guten Zeiten eigentlich leichter umsetzbar sein sollten, die aber in einer wirtschaftlichen Belebung weniger drängend erscheinen, würden ausgeblendet oder hintangestellt werden, kritisieren sie. Dies zeige ein Blick auf die Vorhaben einer raschen Reduzierung der Neuverschuldung des Bundes, der Neuordnung des Niedriglohnbereichs oder einer Finanzierungsreform in der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung. Gerade im gegenwärtigen, noch günstigen wirtschaftlichen Umfeld solle die Politik daher die Weichen dafür stellen, die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung zu sichern, um auch in konjunkturell schwachen Zeiten handlungsfähig zu bleiben. (Sachverständigenrat/ml)