Ein überraschend wenig beachtetes Urteil (C-54/07) des Europäischen Gerichtshofs zu einem Streitfall in Belgien könnte auch für deutsche Unternehmen Konsequenzen haben. Das Gericht urteilte, dass Äußerungen, man werde Bewerber bestimmter Herkunft generell nicht einstellen auch dann eine strafbare Diskriminierung darstellen, wenn es keine konkret diskriminierte Person gebe. Es existiere sogar eine Beweislastumkehr.Werde ein Unternehmen einer solchen Diskriminierung zum Beispiel von dazu beauftragten Organisationen bezichtigt, müsse das beschuldigte Unternehmen seinerseits nachweisen, keine solche Diskriminierung begangen zu haben.
Im konkreten Fall ging es um die belgische Firma Feryn, die auf den Einbau von Garagentoren spezialisiert ist. Das belgische Zentrum für Chancengleichheit und die Bekämpfung des Rassismus warf dem Unternehmen vor, eine diskriminierende Einstellungspolitik zu betreiben. Es stützte sich auf öffentliche Äußerungen des Direktors des Unternehmens, wonach sein Betrieb zwar grundsätzlich Monteure einstellen wolle, aber keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft beschäftigen könne, da die Kunden Bedenken hätten, ihnen für die Dauer der Arbeiten Zugang zu ihren privaten Wohnungen zu gewähren.
Unter Hinweis auf den Zweck der Richtlinie 2000/43/EG (gegen Diskriminierung) ist der Gerichtshof der Auffassung, dass aus dem Fehlen einer identifizierbaren betroffenen Person nicht auf das Fehlen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne der Richtlinie geschlossen werden kann. Eine bessere soziale Integration sei nämlich schwerlich zu erreichen, wenn die Richtlinie nur in den Fällen angewandt werden könne, in denen ein erfolgloser Bewerber wegen Diskriminierung gerichtliche Schritte gegen den Arbeitgeber einleite. Außerdem könnten solche Äußerungen bestimmte Bewerber davon abhalten, ihre Bewerbungen überhaupt erst einzureichen.
Der Gerichtshof stellte weiter fest, dass es dem Arbeitgeber obliege, den Beweis zu erbringen, dass er den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt habe (Beweislastumkehr). Weiter führt der Gerichtshof aus, dass öffentliche Äußerungen, durch die ein Arbeitgeber kundtut, dass er im Rahmen seiner Einstellungspolitik keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Rasse beschäftigen werde, ausreichen, um eine Vermutung im Sinne der Richtlinie für das Vorliegen einer unmittelbar diskriminierenden Einstellungspolitik zu begründen.
Zu den möglichen Sanktionen für eine solche Diskriminierung äußerte sich der Gerichtshof relativ vorsichtig. Er stellte fest , dass die Richtlinie von den Mitgliedstaaten „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ verlange, auch dann, wenn es kein identifizierbares Opfer gibt. Der Gerichtshof führte aus, dass diese „u.a. darin bestehen können, dass das zuständige Gericht die Diskriminierung feststellt, verbunden mit einer adäquaten Veröffentlichung, oder darin, dass dem Arbeitgeber aufgegeben wird, die diskriminierende Praxis zu unterlassen, oder auch darin, dass der Einrichtung, die das Verfahren bestritten hat, Schadensersatz zugesprochen wird“.
Der vollständige Wortlaut des Urteils kann auf der Internetseite des Gerichtshofs nachgelesen werden.
(EU-Gerichtshof/ml)
MittelstandsWiki meint: Dass Diskriminierung kein Kavaliersdelikt ist, steht außer Frage. Dass Betriebe Kunden, die gegen Mitarbeiter mit einer bestimmten Hautfarbe, Sprache oder Religion Vorurteile hegen, moralisch nicht schurigeln können, ohne diese zu verlieren, ist Lebenserfahrung. Hier von dritter Seite durch ein Gesetz einen Entscheidungsdruck gegen Diskriminierung auszuüben, ist deshalb sinnvoll. Problematisch ist das Urteil aber dennoch aus drei Gründen.
Erstens: Ein Diskrimierungsverstoß ohne Opfer gleicht einem Mord ohne Leiche. In beiden Fällen geht es um den fehlenden Beweis für die konkrete Tat. Die Richtlinie 2000/43/EG zielt nicht auf rassistische Volksreden ab, sondern auf diskriminierende Handlungen zwischen konkreten Menschen. Für volksverhetzende Reden vor Publikum sind andere Gesetze zuständig. Zweitens: Während im Mordfall dem Beschuldigten die Tat wenigstens nachgewiesen werden muss, soll im Falle einer Diskriminierung ohne Opfer der Beschuldigte statt dessen seine Unschuld beweisen. Drittens: Eine mögliche Sanktion – so der Gerichtshof – könne auch darin bestehen, „dass der Einrichtung, die das Verfahren bestritten hat, Schadensersatz zugesprochen wird“. Wohlgemerkt: Nicht dem fehlenden Opfer, sondern demjenigen, der als unbeteiligter Dritter die Behauptung aufstellt, eine Diskriminierung habe stattgefunden – eine Behauptung, die dieser nicht einmal beweisen muss. Das könnte selbsternannte Gleichbehandlungswächter ermutigen, Unternehmen wegen des zu verdienenden Geldes anzuschwärzen. Einschlägig erprobte Geschäftsmodelle aus der Abmahnszene gibt es in Deutschland bereits genügend. (ml) |