Deutschland liege bei den Arbeitskosten für die Privatwirtschaft an achter Stelle und damit weiterhin im Mittelfeld der europäischen Staaten, behauptet eine Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. 2007 seien die deutschen Arbeitskosten erneut weitaus langsamer gestiegen als im Durchschnitt in der EU und Eurozone. Dieser Trend zeige sich seit rund einem Jahrzehnt sowohl für das Verarbeitende Gewerbe als auch für den Dienstleistungssektor und dürfte sich 2008 fortgesetzt haben, mutmaßt das Institut.
Der geringe Anstieg der Arbeits- und auch der Lohnstückkosten ging jedoch nicht mit einer besonders positiven Entwicklung des Wirtschaftswachstums oder der Beschäftigung einher, kritisiert das Institut. Im Gegenteil: Besser entwickelt hätten sich in den vergangenen zehn Jahren Länder, in denen die Arbeitskosten bei einem ähnlichen Niveau stärker gewachsen sind – das zeige ein Vergleich mit Staaten wie Frankreich, den Niederlanden oder Finnland.
„Das geringe Wachstum der Arbeitskosten hat zwar zur enorm starken Entwicklung der deutschen Exporte beigetragen. Unserer Volkswirtschaft insgesamt hilft das aber nur bedingt. Denn als Kehrseite der Medaille schwächeln im Inland die Einkommensentwicklung und die Nachfrage“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. Die einseitige Exportorientierung könne in nächster Zeit zu einem zunehmend großen Problem werden, warnt der Ökonom: „Ich fürchte, dass die weltweite Finanzkrise und Rezession unsere Wirtschaft besonders hart treffen werden, weil Deutschland über keine stabile binnenwirtschaftliche Entwicklung verfügt. Unser Land hat sich den Risiken der Weltwirtschaft unnötig stark ausgesetzt.“
2007 mussten deutsche Arbeitgeber in der Privatwirtschaft (Industrie und privater Dienstleistungsbereich) laut dem Institut 28 Euro pro geleistete Arbeitsstunde aufwenden. Höher liegen die Arbeitskosten in sieben Ländern: In Dänemark, Schweden, Belgien, Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden und Finnland müssen zwischen 34,30 Euro und 28,10 Euro pro Stunde ausgegeben werden. Geringfügig niedriger als in der Bundesrepublik sind die Aufwendungen pro Stunde in Österreich (27,50 Euro) und in Großbritannien (26,70 Euro).
Während die Arbeitskosten in der EU-27 um durchschnittlich 3,7%und in der Eurozone um 2,6% stiegen, betrug der Zuwachs in Deutschland lediglich 1,2%. Damit setze sich ein Trend fort, der seit Mitte der neunziger Jahre anhält und sich auch bei den für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wichtigeren Lohnstückkosten zeigt. Deutlich aufgeholt hatten auch im vergangenen Jahr die mittel- und osteuropäischen Länder, in denen die Arbeitskosten um 10 bis 30% zunahmen, so die Ökonomen des IMK.
Die genauere Analyse zeigt: Nach wie vor ist die Spreizung zwischen den Arbeitskosten und den Löhnen im Verarbeitenden Gewerbe und jenen im Dienstleistungssektor in Deutschland ungewöhnlich groß. Die Differenz betrage derzeit rund 20%. „Der Unterschied ist so groß, dass er für sich genommen eine erhebliche Verbesserung der Wettbewerbsposition der deutschen Industrie bewirkt“, betont das IMK. Denn in keinem anderen europäischen Land sei der Abstand zwischen den Arbeitskosten in der Industrie und im Dienstleistungssektor so groß wie in Deutschland.
Die Bilanz der Arbeitskosten-Entwicklung fällt nach der IMK-Analyse zwiespältig aus: Auf die deutschen Exporte haben sich die unterdurchschnittlichen Zuwächse vorteilhaft ausgewirkt. Gesamtwirtschaftlich haben sie das Wachstum aber eher gebremst, beobachten die Ökonomen: Länder mit vergleichbaren Arbeitskostenniveaus, aber höheren Zuwachsraten seien im vergangenen Jahrzehnt weitaus stärker gewachsen als Deutschland. Das zeige ein Vergleich mit den Wirtschaftsdaten Frankreichs, Großbritanniens, der Niederlande, Finnlands und Österreichs.
Trotz der extrem niedrigen Lohnzuwächse verzeichne die Bundesrepublik auch die vergleichsweise schlechteste Entwicklung bei der Beschäftigung. Der Grund: Nicht das geringe Niveau der Arbeitskosten, sondern ein starkes Wirtschaftswachstum sorge für mehr Jobs, so die Wirtschaftsforscher.
Angesichts der globalen Rezession im Zuge der Finanzkrise „dürfte noch deutlicher werden, dass die starke Konzentration auf ein Export getriebenes Wachstum riskant ist“, warnen die gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforscher. Die niedrigen Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre erwiesen sich jetzt als Belastung, da sie Deutschland besonders abhängig von der weltwirtschaftlichen Entwicklung gemacht haben. Gerade jetzt seien spürbare Lohnerhöhungen für die binnenwirtschaftliche Stabilisierung dringend erforderlich. Dies würde auch helfen, möglichen Deflationsgefahren zu begegnen.
Die Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung steht online als Download zur Verfügung. (idw/ml)