Deutschland glänze mit einer Reihe von Standortvorteilen, lobt die aktuelle Kienbaum-Studie „Wege aus der Standortfalle“, für die mehr als 100 Top-Manager aus den klassischen Industriebranchen (Maschinen- & Anlagenbau, Stahl- und Prozessindustrie, Automobilwirtschaft, Chemie & Pharma) befragt wurden. Derartige Vorteile seien der Zugang zu neuer Hochtechnologie, das Serviceniveau sowie kundennahe, individuelle Entwicklungspartnerschaften. In diesen Punkten sei Deutschland Standorten in Osteuropa, China und Indien deutlich überlegen. Der wichtigste Wettbewerbsvorteil Deutschlands sei allerdings das Mitarbeiterpotential.
Bei Kriterien wie Erfahrung, Qualitätsverständnis, Verfügbarkeit und Produktivität von hochqualifizierten Mitarbeitern liege Deutschland im internationalen Vergleich teilweise deutlich vorn. Weitere Stärken liegen in der Prozesssicherheit, Liefertreue und Innovationskraft. Auch hier punkten deutsche Unternehmen im Vergleich mit ihren Wettbewerbern aus Osteuropa, China und Indien. Weniger deutlich als in den Vorjahren falle jedoch der Vorsprung beim Thema kurze Entwicklungszeiten aus. Auch bei der Flexibilität und der Motivation der Mitarbeiter gebe es Nachholbedarf.
Immer wieder wird in Diskussionen um die Kosten am Standort Deutschland eine Verlagerung ins Ausland ins Spiel gebracht. Die Kienbaum-Studie ergab nun, dass tatsächlich mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen den Auf- oder Ausbau von Standorten im Ausland plant. Vor allem der Maschinen- und Anlagenbau tue sich hier hervor, so die Studie. Auffallend sei auch, dass mit der Größe eines Unternehmens dessen Bereitschaft steigt, Auslandsstandorte zu gründen.
Die Personalkosten bilden dabei das mit Abstand wichtigste Motiv für eine Standortverlagerung. Allerdings müssen die Kostenvorteile im Durchschnitt laut Studie mindestens 23,3% betragen, damit die Unternehmen nach eigener Auskunft noch eine Verlagerung von Produktionskapazität erwägen. Bei großen und auslandserfahrenen Unternehmen liegt der entsprechende Schwellenwert jedoch um rund zehn Prozentpunkte niedriger.
Laut Studie werden aber gerade die Personalkostenvorteile im Ausland immer geringer. Die Lohnkostenzuwächse etwa in Osteuropa sind momentan 10 bis 25 Mal größer als in Deutschland. Immerhin 11% der Befragten gaben sogar an, Verlagerungen ins Ausland auch ohne Kostenvorteile zu tätigen. Wohl deshalb betrachtet ein zunehmender Anteil der Befragten (gut 60%) für die Zukunft „Markterschließung“ und „Kundennähe“ als wichtigere Gründe für eine Standortwahl.
Der Schritt ins Ausland ist aber nur eine von mehreren Maßnahmen, mit denen deutsche Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken wollen. Die große Mehrheit der befragten Unternehmen setzt auf zusätzliche oder andere Mittel, um den Standortnachteilen ein Schnippchen zu schlagen. So erwägen 83% der Befragten einen stärkeren Einsatz von IT-Technik. Der gleiche Anteil will prozessorientierte Strukturen und Abläufe schaffen, um Kosten- und Optimierungspotenziale zu erschließen. Es folgen stärkere Automatisierung (74%) und kontinuierliche Verbesserungsprozesse (65%).
Auffällig sei, so die Macher der Studie, dass die Unternehmen immer noch zuerst in der Produktion nach Optimierungspotenzialen suchen. Lediglich die Hälfte der Befragten setzt auch in anderen Bereichen wie Verwaltung, Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung moderne Optimierungsinstrumente ein.
Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen beklagt einen Engpass bei qualifizierten Mitarbeitern, vor allem in den Bereichen Produktion und Forschung und Entwicklung. Hier leiden 42% der Befragten unter einem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. Die Kienbaum-Experten warnen davor, diese Situation werde sich angesichts der demographischen Entwicklung noch weiter verschärfen. Es sei daher unbedingt erforderlich, dass die Unternehmen spätestens jetzt mit entsprechenden Schritten gegensteuern.
Schon heute – so die Studie – greifen die Unternehmen zu verschiedenen Personalmaßnahmen, allerdings mit teils fragwürdigem Erfolg und nicht immer geeigneten Mitteln. Nur die fachliche Qualifizierung wird von den Unternehmen überwiegend als erfolgreich eingeschätzt – 45% der Befragten nannten die Erfolgsquote hierbei „hoch“. Bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter sehen nur noch 29%t eine hohe Erfolgsquote, bei Maßnahmen der Personalentwicklung bewertet nur jedes fünfte Unternehmen seine Maßnahmen als sehr erfolgreich.
Am Ende zeigt sich: Neben der Standortverlagerung gibt es eine Reihe weiterer Möglichkeiten, der Standortfalle zu entkommen. Immer seltener ist die Verlagerung ins Ausland die bessere Lösung. Je nach Branche kann sie sogar in eine schlimmere Standortfalle führen. (Kienbaum/ml)