Betriebswirtschaftsstudenten gelten allgemein als wenig begeisterungs- und mobilisierungsfähig. Umso Erstaunlicheres geschah am Montag an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität: Die Große Aula, der größte Vorlesungssaal der Elite-Universität, platzte aus den Fugen, als ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über die Ursachen der Finanzkrise referierte. Rund tausend Zuhörer waren gekommen, darunter viele Studenten der Wirtschaftswissenschaften. Was sie zu hören bekamen, war keine Sinn-Krise, sondern eine schlüssige und auch von Nicht-Wirtschaftswissenschaftlern nachvollziehbare Erklärung der wirtschaftlich katastrophalen Ereignisse der letzten Monate.
Die Hauptursache der Krise, so Sinn in seinem Vortrag, liege in der Haftungsbeschränkung der Bankaktionäre, die die Ausschüttung und die Minimierung des Eigenkapitals erst interessant mache. Die Haftungsbeschränkung sei zwar im Prinzip eine sinnvolle Einrichtung, mit der der Gesetzgeber die Gründung von Kapitalgesellschaften im neunzehnten Jahrhundert überhaupt erst ermöglicht hat. Die amerikanischen Investment Banken hätten die Haftungsbeschränkung jedoch im Übermaß ausgenutzt, indem sie ihre Gewinne ausschütteten, um so die möglichen Verluste in unsicheren Zeiten zu minimieren. Wegen des nur minimalen Eigenkapitals der Banken sei es aber zum Glücksrittertum gekommen, wetterte Sinn.
Die Aktionäre der Banken hätten gewusst, dass ein Teil der möglichen Verluste von anderen, nämlich den Gläubigern und/oder den Steuerzahlern zu tragen sein würden. Je größer die Streubreite der Erträge, desto größer die erwarteten betriebswirtschaftlichen Gewinne, weil ein Teil der Verluste auf andere abgewälzt werden kann. Sinn betonte, dass auf diese Weise nicht nur das „Glücksrittertum der Wall Street“ zu erklären sei, sondern erläuterte, dass man auf ähnliche Weise auch erklären könne, warum „Main Street gezockt“ habe. Normale Hausbesitzer hätten sicher sein können, dass sie im Fall der Überschuldung nicht mit ihrem Arbeitseinkommen oder sonstigen Vermögen würden haften müssen. Deswegen hätten sie die möglichen Verluste ihrer Engagements vernachlässigt und sich nur auf die Gewinnchancen konzentriert. Das sei die eigentliche Ursache der Immobilienblase.
Sinn forderte deshalb strengere Mindesteigenkapitalregeln und Pflichtzuweisungen von Eigenkapital an die Banken im Rahmen des deutschen Rettungspaketes. „Sonst können wir eine Kreditklemme nicht verhindern“, sagte Sinn. Die Banken hätten damit den benötigten Puffer, um in der Zukunft neue Krisen besser überstehen zu können. Durch die Vergrößerung der Haftungssummen wachse zudem die Sorgfalt, die die Aktionäre von ihren Vorständen verlangen. Dadurch komme es zu vorsichtigeren Geschäftsmodellen und Entlohnungssystemen, die eher auf eine nachhaltige Sicherung des Unternehmenserfolgs ausgerichtet sind. Solche Maßnahmen seien freilich international zu harmonisieren, um einen Laschheitswettbewerb der Regulierungsbehörden zu vermeiden. (ifo/ml)
Anmerkung der Redaktion: Propheten gelten selten etwas im eigenen Land. Hans-Werner Sinn ist zudem ein unbequemer Prophet, der wenig Rücksicht auf allgemein gehegte Tabus nimmt, wenn es um die Wirtschaft geht und auch unbequeme Wahrheiten offen ausspricht. Gerade in letzter Zeit wurde er deshalb sowohl von der Politik als auch von seiner eigenen Zunft unter Beschuss genommen. Das könne man „den Menschen da draussen doch so nicht sagen“ lautet ein oft gehörter Vorwurf. Doch, man kann, man muss es sogar! Und Sinn macht es vor.
Vielleicht kamen gerade deshalb so viele Zuhörer in der Hoffnung, dass ihnen endlich jemand reinen Wein einschenke. Sie wurden nicht enttäuscht. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele der anwesenden BWL- und VWL-Studenten durch Sinns Vortrag aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt wurden und es hoffentlich einmal besser machen werden, als die von Sinn gescholtenen Verursacher der gegenwärtigen Krise. (ml) |