Zum Ärger der Gewerkschaften führen ein schwierigerer Arbeitsmarkt und eine verstärkte Ablehnung realitätsferner Gewerkschaftsparolen im Osten Deutschlands zum Schrumpfen ihres Einflusses auf die Belegschaften. Vorbei seien die „goldenen Zeiten“ der Betriebsräte und Gewerkschaften, stellt Prof. Dr. Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena daher betrübt fest. Der Jenaer Arbeitssoziologe hat die sich wandelnden Beziehungen zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften untersucht.
Unterstützt wurde die Studie von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung. Der Studie kann man deshalb auch kaum eine arbeitgeberfreundliche Interpretation der Verhältnisse unterstellen.
„Der Trend der Verbetrieblichung industrieller Beziehungen ist seit vielen Jahren auszumachen“, bedauert Dörre, der den Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena innehat. Gemeint ist sowohl die Zunahme betrieblicher Vereinbarungen, die von Flächentarifverträgen abweichen, als auch die inhaltliche Kluft zwischen betrieblichen und unternehmensübergreifenden zivilgesellschaftlichen Interessen.
Die Jenaer Soziologen um Prof. Dr. Klaus Dörre befragten über 400 Betriebsräte nach ihrem Engagement und führten Experteninterviews mit führenden Gewerkschaftern, Lokalpolitikern und Wirtschaftsförderern durch. Die Ergebnisse waren vor allem in den neuen Bundesländern ernüchternd, wo sich „die Krise der Gewerkschaftspolitik in ihrem vollem Ausmaß zeigt“.
Hier fanden die Soziologen auch überdurchschnittlich viele gewerkschaftskritische Betriebsräte vor. Im Vergleich zur Situation im Westen engagieren sich Betriebräte im Osten nur halb so oft in gewerkschaftlichen Arbeitskreisen oder in gewerkschaftlichen Ämtern. Über 30% sind der Meinung, der Betriebsrat müsse nicht unbedingt einer Gewerkschaft angehören.
Anders als im Westen wird die lose Tarifbindung im Osten schon weitgehend als Faktum akzeptiert, denn Arbeitszeitverlängerungen sind, ebenso wie im Westen, tarifliche Realität, das Lohnniveau ist niedriger und die Arbeitslosigkeit höher als in den alten Bundesländern.
Nur 30% der Betriebsräte im Osten denken, dass sie ihre Belegschaft in Fragen der Arbeitszeit mobilisieren könnten. Für gewerkschaftliche Ziele zu mobilisieren, trauen sich nur knapp über 20% zu. „Die Mehrheit der Betriebsräte konzentriert sich auf die Pflege eines guten Verhältnisses mit der jeweiligen Geschäftsführung oder betreibt ein klassisches Co-Management“, erklärt Prof. Dörre.
Der „Scheinfrühling“ nach der Wende, als die Mitgliederzahlen nicht nur der Betriebsräte, sondern auch der Gewerkschaften in den neuen Bundesländern stetig stieg, gehört laut Studie längst der Vergangenheit an. „Mitgliederzahlen schwinden und Landesvertretungen in den neuen Bundesländern schließen“, beschreibt Prof. Dörre und warnt sogar vor einem gewerkschaftsfreien Raum im Osten.
(idw/ml)
Anmerkung der Redaktion: Statt diese Entwicklung als Einbruch der Realität in die Traumwelt der Gewerkschaften zu akzeptieren, wollen die Soziologen der Universität Jena „Anknüpfungspunkte liefern, wie die Krise durch innovative Strategien überwunden werden kann“. Ihr fataler Irrtum: In aller Regel richtet sich die Realität nur selten nach ideologischen Wünschen. (ml) |