Auch die zweite in Sachen Post-Mindestlohn angerufene Instanz, der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, ist der Meinung, die große Koalition habe mit der Mindestlohn-Verordnung ihre Kompetenzen überschritten und bestätigte deshalb am Donnerstag das Urteil der Vorinstanz gegen die Verordnung (wir berichteten darüber). Das will Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) jedoch nicht hinnehmen. Sein Ministerium legte noch am Tag des Urteils Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Mindestlohn-Verordnung bleibe vorerst wirksam, Scholz nach der Schlappe trotzig.
Ende vergangenen Jahres hatte das Bundesarbeitsministerium einen Post-Mindestlohn von 9,80 Euro für allgemeinverbindlich erklärt, obwohl dieser Mindestlohn unter Ausschluss der privaten Wettbewerber zwischen dem von der Deutschen Post beherrschten Arbeitgeberverband Postdienste und Verdi ausgehandelt worden war. Die Post-Mindestlohnverordnung hatte prompt zu einer erheblichen Verunsicherung bei den Zustellunternehmen und in Folge zu über 60 Firmenauflösungen und Pleiten geführt sowie mehr als 6000 Arbeitsplätze gekostet.
Gegen die Verordnung hatten deshalb der Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) und die beiden Post-Konkurrenten PIN und TNT mit der Begründung geklagt, der überhöhte Post-Mindestlohn erfülle nicht die Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Bereits in der ersten Instanz bekamen die klagenden Parteien Recht. Woraufhin das Bundesarbeitsministerium in Revision ging.
Am Donnerstag aber bestätigten die Richter des Oberverwaltungsgerichts das Urteil der Vorinstanz. Auch sie kamen zu dem Schluss, die Vorgabe dürfe nur für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten und könne damit nicht auf die gesamte Branche der Briefdienste und ihre rund 220.000 Mitarbeiter ausgeweitet werden. (AZ OVG 1 B 13.08).
Scholz wies das Urteil – über die erneute Niederlage erbost – heftig zurück und erklärte, die Verordnung werde so lange weiter gelten, bis das Bundesverwaltungsgericht über seine abermalige Revision entschieden habe. Auch die Gewerkschaft Verdi entrüstete sich über die blamable Schlappe. Offensichtlich um von der eigenen Niederlage abzulenken, forderte sie ihrerseits von Scholz, endlich für einen „belastbaren gesetzlichen Rahmen“ des Mindestlohns zu sorgen.
Ganz anders sahen das die Vertreter der CDU und der Wirtschaft. Sie begrüßten das Urteil als schallende Ohrfeige für diese und weitere Mindestlohnforderungen der SPD und der Gewerkschaften. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte, der Bundesarbeitsminister solle die Rechtslage anerkennen und endlich die Mindestlohn-Verordnung zurücknehmen. Mario Frusch, CEO von TNT Post Deutschland, gab der Hoffnung Ausdruck, das Urteil werde dem Wettbewerb im Postmarkt einen deutlichen Schub geben und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt stärken.
Aus formalen Gründen wurden vom Oberverwaltungsgericht einige Klagen von Post-Konkurrenten gegen Ansprüche ihrer Mitarbeiter im Rahmen des Mindestlohns abgewiesen. Ob Lohnansprüche ihrer Arbeitnehmer nach dem Mindestlohnniveau rechtmäßig begründet seien, müsse vor den Arbeitsgerichten und nicht vor Verwaltungsgerichten geklärt werden, so die Richter. Auch auf die Frage, ob ein Mindestlohn für die Briefdienstleister verfassungsmäßig sei, gingen die Richter nicht ein, denn darauf sei es bei der aktuellen Entscheidung nicht angekommen. (ml)