Die Konjunktur Deutschlands werde noch dieses Jahr um 6 % schrumpfen, vermuten die Wirtschaftsweisen der acht führenden Wirtschaftsforschungsinstitute (siehe Kasten am Ende der Meldung). Aber ihr heute veröffentlichtes knapp 100 Seiten starkes Frühjahrsgutachten hält für die Bundesbürger noch weitere Hiobsbotschaften bereit. So soll die Talfahrt nicht vor Mitte 2010 enden und das Bruttoinlandsprodukt erst 2013 wieder den Stand von 2008 erreichen. Außerdem werde der Arbeitsmarkt noch dieses Jahr mit 4 Millionen Arbeitslosen zu kämpfen haben und der Export einen Rückgang um 22,6 % erleiden.Geht es nach den Experten der am Gutachten beteiligten Institute, nimmt der Konjunktureinbruch noch 2009 bisher nicht gekannte Ausmaße an. Allein der Konjunktureinbruch von 6 % übertrifft alle Krisen der Vergangenheit seit Bestehen der Bundesrepublik. Zwar werde es 2010 langsam wieder bergauf gehen, das BIP aber dennoch um ein halbes Prozent schrumpfen und die Arbeitslosigkeit Ende 2010 an der 5-Millionen-Grenze schrammen, warnen die Wirtschaftsweisen.
Besonders hart treffe es die Bundesrepublik auch deshalb – so die Institute – weil sich durch die Dominanz des Exports der voraussichtlich 16prozentige Rückgang des Welthandels und die ebenfalls um 16 % schrumpfenden globalen Investitionen in Anlagen und Maschinen auf Deutschland stärker auswirken als auf weniger exportorientierte Nationen.
Noch im Herbst dürfte die Zahl der Arbeitslosen die 4-Millionen-Grenze durchbrechen mit weitreichenden Folgen für den Binnenkonsum. Allein schon die Angst vor dem Jobverlust werde den Konsumenten die Kauflaune verderben, befürchten die Analysten. Der private Konsum werde daher 2010 um 1,2 % sinken. Parallel dazu sei mit stagnierenden Preisen zu rechnen.
Erste Priorität habe den Weisen zufolge die Wiederherstellung der Funktion der Banken. Noch drohe eine Kreditklemme, warnen die Experten. Notfalls seien die Banken zur Annahme staatlicher Hilfe zu zwingen. Der Europäischen Zentralbank legen die Wirtschaftsweisen eine weitere Leitzinssenkung auf 0,5 % nahe.
Einen Rüffel musste die Regierung für ihre Abwrackprämie einstecken. Die Experten halten sie für ein Beispiel einer verfehlten Politik. Auch ein neues Konjunkturpaket halten die Weisen angesichts des absehbaren Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung für nicht weise.
Weitgehende Zustimmung fand das Gutachten beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Sein Präsident Hans Heinrich Driftmann unterstützt vor allem die Forderung der Wirtschaftsweisen nach einer Lösung des Bankenproblems. „Das Gutachten ist ein wichtiges Plädoyer für die Stabilisierung der Finanzmärkte. Denn das ist das A und O für den Weg aus der Rezession heraus.“ Er plädierte für eine schnelle „Bad-Bank“-Lösung, die die Banken wieder voll handlungsfähig machen solle, sie aber gleichwohl in der Mithaftung belasse. Das Vorgehen müsse zudem international koordiniert werden, denn zunehmend scheiterten Exportgeschäfte deutscher Unternehmen an Finanzierungsproblemen im Ausland, warnte der Kammerfunktionär. Außerdem müssten die Konjunkturpakete für den Mittelstand endlich bei den Unternehmen ankommen. Auch brauche die Wirtschaft dringend eine Korrektur von Teilen der 2008 beschlossenen Reform der Unternehmensteuern. Es könne nicht sein, dass Einzelhändler, die Verluste machen, durch die Reform noch stärker belastet werden. Und es dürfe auch nicht sein, dass durch die Begrenzung des Verlustvortrages der Einstieg von Investoren in krisengeschüttelte Unternehmen erschwert werde. Insofern seien die neuen Regeln zur Zinsschranke, zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen, zur Begrenzung des Verlustvortrags und zur Besteuerung von Kosten bei der Gewerbesteuer zurückzunehmen.
Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) mahnte, man dürfe erste Hoffnungszeichen trotz dramatischer Zahlen nicht übersehen: „Wir gehen davon aus, dass sich der bisher freie Fall verlangsamt und zu einem Ende kommt. Auch deshalb ist es folgerichtig, dass sich die Wirtschaftsweisen ausdrücklich gegen weitere Konjunkturprogramme aussprechen. Dafür besteht derzeit weder Bedarf noch Spielraum.“ Wichtiger sei, dass Bund, Länder und Kommunen weiter an einer finanziellen Umsetzung vor Ort arbeiten.
Kentzler bedauerte, die Handwerkskonjunktur könne sich dem schlechten wirtschaftlichen Umfeld nicht gänzlich entziehen. Sie sei aber weiterhin vergleichsweise zufriedenstellend. „Wir gehen für das Jahr von einem Umsatzrückgang um 2 % aus und hoffen, unter diesen Voraussetzungen auch die Beschäftigung einigermaßen stabil halten können. Das Gleiche gilt für die Ausbildungsquote“, so Kentzler weiter.
Probleme in einzelnen Branchen rechtfertigen seiner Ansicht nach nicht, jetzt in arbeitsmarktpolitischen Aktionismus zu verfallen: Altersteilzeit oder Transfer-Beschäftigungsgesellschaften kämen allein großen Unternehmen zugute, müssten aber von allen finanziert werden. Sinnvoller sei es, die betrieblichen Bündnisse für Arbeit endlich gesetzlich abzusichern. Sie könnten auch über die Krise hinaus einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigungsstabilisierung leisten.
Auch er rät der Regierung, sie solle vor allem krisenverschärfende Regelungen mit Augenmaß neu justieren: „Bei der Gewerbesteuer dürfen die Betriebe nicht weiter dadurch belastet werden, dass sie Kosten versteuern müssen. Zudem muss die Liquidität der Betriebe gestärkt werden. Die Anhebung der Ist-Versteuerungsgrenze ist hier der richtige Hebel“, mahnte Kentzler abschließend.
An dem Gutachten waren folgende Institute beteiligt:
- ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München in Kooperation mit der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
- Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel
- Institut für Wirtschaftsforschung Halle in Kooperation mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung und dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung
- Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation (bei der Mittelfristprognose) mit dem Institut für Höhere Studien Wien