Lissabon-Vertrag degradiert deutsches Grundgesetz

Wenn der Freiburger Staatsrechtler Professor Dr. Dietrich Murswiek recht hat, steht der EU ein deftiger Skandal ins Haus. Der Staatsrechtler behauptet, der Vertrag von Lissabon habe einen bisher nicht bemerkten Konstruktionsfehler, der den EU-Vertrag zur europäischen Oberverfassung mache und die Verfassungen der Mitgliedstaaten zu „Landesverfassungen“ degradiere. Dadurch erhalte der EU-Gerichtshof die Kompetenz, in innerstaatlichen Verfassungsfragen die nationalen Verfassungsgerichte zu korrigieren.Dafür, dass es sich bei dieser These keineswegs um eine EU-feindliche Verschwörungstheorie eines Spinners sondern um ernstzunehmende Analyseergebnisse handelt, gibt es mehrere Indikatoren: Diese These des Freiburger Staatsrechtlers Murswiek wird demnächst in der hochseriösen Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) publiziert. Murswiek weist außerdem darauf hin, dass die Vertragsstaaten diese Wirkung des Vertrages von Lissabon vermutlich nicht beabsichtigt haben. Es handelt sich seiner Meinung nach um eine „Nebenwirkung“ dieses hoch komplizierten Vertragswerks, die man wohl nicht bedacht habe.

Die Auflösung der Säulenstruktur der Europäischen Union und die Erstreckung der Gerichtsbarkeit des EU-Gerichtshofs auf die meisten Gebiete, auf denen er bisher nicht zuständig war, führen laut Murswiek dazu, dass der Gerichtshof sich unter Berufung auf die Grundwerte der EU künftig in innerstaatliche Angelegenheiten der Mitgliedstaaten einmischen kann. Als Konsequenz könnte der EU-Gerichtshof beispielsweise dem Bundesverfassungsgericht vorschreiben, unter welchen Voraussetzungen eine politische Partei verboten werden kann oder ob die Menschenwürde absolut geschützt ist oder mit anderen Werten abgewogen werden muss.

Diese weitreichenden Folgen des Vertrages, die die Freiheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten über ihre eigenen Verfassungen und damit ihre Souveränität in ihrem Kern berühren, können noch verhindert werden. Dazu müsste laut Murswiek die Bundesregierung vor Ratifizierung des Vertrages einen entsprechenden völkerrechtlichen Vorbehalt erklären oder mit den anderen Vertragsstaaten gemeinsam ein Protokoll beschließen, das ausdrücklich eine solche Wirkung des Vertrags ausschließt.

(idw/ml)

Anmerkung der Redaktion: Auch wenn die These des Freiburger Wissenschaftlers auf den ersten Blick nichts mit Wirtschaft zu tun hat und unsere Redaktion schon aus rein wirtschaftlichen Gründen für eine starke EU eintritt, wäre eine solche „Nebenwirkung“ für das Vertrauen der Bevölkerung in die Europäische Gemeinschaft verheerend. Wir haben uns deshalb zur Veröffentlichung dieser Meldung entschlossen. (ml)