Ein Ende der scharfen Rezession beginne sich abzuzeichnen. Dieses Fazit zog der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus F. Zimmermann heute aus der Frühjahrsanalyse seines Instituts. Er mahnte aber auch, dass allein schon die Debatte über ein Konjunkturpaket III zum jetzigen Zeitpunkt schädlich sei, denn diese schaffe nur neue Unsicherheiten. Außerdem seien weitere Ausgaben oder Steuersenkungen angesichts der ohnehin schon drastisch steigenden Staatsschulden nicht zu verantworten.Das DIW Berlin rechnet zum Jahresende mit einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Für 2010 sieht das Institut eine leichte Belebung: „Am ehesten ist von einer sehr schwachen und langsamen Erholung auszugehen,“ sagte DIW-Chef Zimmermann. Zum sich abzeichnenden Ende der wirtschaftlichen Talfahrt tragen nach Ansicht des DIW die weltweiten Konjunkturprogramme bei. Vor allem sprächen aber die niedrigen Rohstoffpreise und die dadurch sinkende Inflation für eine graduelle Erholung der Weltwirtschaft.
Angesichts des scharfen Konjunktureinbruchs ab dem letzten Quartal 2008 werde die Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 voraussichtlich um rund 5 % geringer ausfallen als im Jahr zuvor, so das Institut. Vor dem Hintergrund der weiterhin großen konjunkturellen Unsicherheiten verzichtete das DIW aber für 2010 auf die Angabe einer konkreten Wachstumsrate, denn der konjunkturelle Wendepunkt sei schwer auszumachen.
Voraussetzung für eine konjunkturelle Stabilisierung sei jedoch eine Rückkehr des Vertrauens in die Finanzmärkte, und das werde nur zurückkehren, wenn es zu einer wirksamen Neuorientierung im Finanzsektor komme. „Dazu gehören auch andere wirtschaftliche Anreizsysteme,“ so der DIW-Präsident.
Das Beharren der Bundesregierung auf strukturellen Reformen beim G20-Gipfel sei richtig gewesen. Bei allem Lob für ihr Auftreten beim Londoner Gipfel solle die Bundesregierung aber nicht vergessen, dass auch in Deutschland tiefgreifende Reformen im Finanzsektor anstehen, mahnt das Institut. Das gelte für die Zukunft der Landesbanken ebenso wie für die vom DIW Berlin geforderte baldige Schaffung einer Bad Bank.
Die Zahl der Arbeitslosen könnte im Jahresverlauf um mehr als 700.000 auf 3,7 Millionen ansteigen. Eine eklatante Unterbeschäftigung werde derzeit durch einen Rückgang der Arbeitsproduktivität und die massive Ausweitung von Kurzarbeit kaschiert: Es bestehe aber das Risiko, dass aus Kurzarbeit echte Arbeitslosigkeit wird, warnt Zimmermann. Die Anstrengungen von Wirtschaft und Bundesregierung, die Beschäftigung trotz Wirtschaftskrise zu halten, seien aber positiv zu bewerten.
Zimmermann warnte vor einer Debatte über ein weiteres Konjunkturpaket. „Das Beispiel Kurzarbeit zeigt: Wir sollten mehr auf die automatischen Konjunkturstabilisatoren vertrauen“ so Zimmermann. In Folge der Konjunkturlage und der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Konjunkturprogramme werden sich die öffentlichen Haushalte ohnehin in einer Weise verschulden, die in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos sei.
Das Gesamtdefizit der öffentlichen Haushalte werde – bei großer Unsicherheit – im nächsten Jahr auf weit über 100 Milliarden steigen. Dieses Jahr lag das Defizit bei lediglich knapp 80 Milliarden. Zimmermann: „Wer Deutschland dafür kritisiert, dass wir nicht genug Geld für Konjunkturprogramme ausgeben, vergisst, dass es Lohnersatzleistungen und andere Sozialtransfers in diesem Umfang weder in den USA noch in China gibt.“ Diese Instrumente – die automatischen Stabilisatoren – wirkten dem Abschwung entgegen. Deshalb solle man nicht die Größe der Konjunkturpakete, sondern das Defizit der öffentlichen Haushalte miteinander vergleichen.
Scharfe Kritik übte Zimmermann an der von der Koalition vereinbarten Aufstockung der Abwrackprämie. „Die Mehrheit der Bürger versteht sehr wohl, dass hier mit Subventionen ein wirtschaftlich und ökologisch schädlicher Hüttenzauber entfacht wird, für den die Steuerzahler auch noch sehr lange zahlen müssen.“ Gerade in Krisenzeiten sei aber von der Politik gefordert, den Bürgern auch ökonomisch unbequeme Zusammenhänge zu erklären. „Jeder Euro für den Verschrottungswahnsinn wird schon nach der Bundestagswahl für Kita-Erzieher, Turnhallen und Nachwuchswissenschaftlerinnen fehlen.“
Das DIW Berlin hält eine schnellere konjunkturelle Erholung nicht für ausgeschlossen. Der dramatische Einbruch bei den für den deutschen Export besonders wichtigen Investitionsgütern (Maschinen, Fahrzeuge, Anlagen) spiegeln laut Institut keinen typischen Verlauf der Investitionstätigkeit wider. Vielmehr sei davon auszugehen, dass in den Unternehmen die Unsicherheit über die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten die Sicherung der Liquidität zur obersten Priorität hat werden lassen.
Dies dürfte zum Teil die ungewöhnliche Gleichzeitigkeit der rückläufigen Bestelltätigkeit erklären, glaubt das DIW. Auch wenn jetzt zahlreiche Investitionsvorhaben zurückgestellt werden: Die grundsätzliche Wirtschaftlichkeit dieser Projekte müsse damit nicht infrage stehen. Dass die Exporterfolge der deutschen Investitionsgüterindustrie auf einer Blasenentwicklung in den Realwirtschaften der Abnehmerländer beruhen, lasse sich ebenfalls nicht eindeutig sagen.
Sollten sich aber die Turbulenzen an den Finanzmärkten rascher als gedacht beruhigen, so könnten weltweit die aufgeschobenen Investitionsvorhaben auch wieder in Gang kommen. In einer solchen Situation träfe ein Nachfrageanstieg auf wenig ausgelastete Kapazitäten der Investitionsgüterproduzenten. Dadurch wäre ein starker Wiederanstieg der Wirtschaftsleistung über mehrere Quartale möglich.
Ferner könnte die weltweite Strukturkrise im Automobilsektor, die derzeit praktisch alle Anbieter in einer abwartenden Haltung verharren lässt, durch das Ausscheiden eines größeren Anbieters schneller als gedacht bereinigt werden. Sofern weltweit die kurzfristigen Stützungsprogramme für einzelne Hersteller aufgegeben werden und damit die Strukturanpassung ermöglicht wird, werden die verbleibenden Hersteller auch schneller als bisher ihre Investitionspläne wieder aufgreifen.
Hält jedoch die Unsicherheit an, weil die Neuregelungen der Finanzmärkte unzureichend bleiben, kann kein nachhaltiges Vertrauen entstehen und die bestehenden strukturellen Probleme rücken mehr und mehr in den Vordergrund. Dabei handelt es sich nicht nur um Überkapazitäten auf der Angebotsseite, sondern auch – und vor allem – um Schwächen auf der Nachfrageseite. Das gelte insbesondere für die angelsächsischen Länder, die lange Zeit über ihre Verhältnisse gelebt haben, so das Berliner Institut. (DIW Berlin/ml)