Die Bundesrepublik Deutschland sei hinsichtlich der Armutsentwicklung ein zutiefst zerrissenes Land, meldete am Montag der Paritätische Gesamtverband. Ganze Regionen drohten in einen Teufelskreis der Verarmung zu geraten. Dies gehe aus dem „Ersten Armutsatlas für Regionen in Deutschland“ des Verbands hervor. Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbands warnte, Deutschland sei nicht nur ein sozial, sondern auch regional ein tief zerrissenes Land. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall sei Deutschland nicht länger zwei- sondern mindestens dreigeteilt.„Wenn die ärmste Region eine viermal so hohe Armutsquote aufweist wie die reichste, hat das mit gleichwertigen Lebensverhältnissen nichts mehr zu tun“, mahnte Schneider vor den Journalisten zahlreicher Medien.
Bei einer bundesweit durchschnittlichen Armutsquote von 14,3 % reichen die in dem Atlas erstmals veröffentlichten regionalen Armutsquote von 7,4 % im Schwarzwald bis zu 27 % in Vorpommern.
„Wir haben uns viel zu lange durch bundesweite Durchschnittsquoten blenden lassen. Der Mensch lebt aber in der Region, nicht im Durchschnitt“, so Schneider. Dabei belege der Atlas, dass die gängige statistische Unterscheidung zwischen Ost- und Westdeutschland in der Realität viel zu kurz greife. „Schneider warnt: „Wenn wir nicht sofort und massiv gegensteuern, wird die Verödung ganzer Landstriche nicht mehr aufzuhalten sein.“. Ohne gezielte Maßnahmen der Armutsbekämpfung werde mittelfristig jede Grundlage für eine gute ökonomische Entwicklung in den betroffenen Regionen zerstört.
Scharfe Kritik übte der Verband in diesem Zusammenhang am Konjunkturpaket II. Die zehn Milliarden Bundesmittel für Investitionen in Bildung und kommunale Infrastruktur flössen zu einem Drittel in die drei Bundesländer, die mit Abstand die geringsten Armutsquoten aufweisen. Eine solche Mittelverteilung sei ökonomisch unvernünftig und sozial ungerecht. Maßnahmen wie die Abwrackprämie würden die Spaltung zwischen Arm und Reich noch vergrößern, anstatt sie zu schließen, kritisierte Schneider.
Der Armutsatlas steht online oder als PDF-Datei (mit Karten) per Download zur Verfügung.
(Paritätischer Gesamtverband/ml)
Kommentar der Redaktion: Wer objektive Zahlen sucht, ist beim Statistischen Bundesamt besser aufgehoben (wir berichteten darüber). Anders als der Atlas des Paritätischen Wohlfahrtsverbands weist das Bundesamt auch darauf hin, dass der Rechenansatz für das Armutsrisiko über den Bundesdurchschnitt der Einkommen nicht der Einzige ist. Wir meinen: Ein regionaler Ansatz über die regionalen Durchschnittseinkommen ist sogar der realistischere, auch wenn Dr. Schneider vom Paritätischen gegenteiliger Meinung ist. Lesen Sie dazu unseren Kommentar zur Meldung des Statistischen Bundesamts vom gleichen Tag.
Ohne die Entwicklung schönreden zu wollen: Die Zahlen beweisen keineswegs, dass nun Teilen Deutschlands afrikanische Verhältnisse drohen. Die EU-Definition für Armut steht für eine relative Armut, bezogen auf das soziale Umfeld. Nach dieser Definition gelten solche Menschen als von Armut bedroht, die 60 % oder weniger des nationalen Durchschnittseinkommens verdienen. Und das ist in einem reichen westlichen Land etwas gänzlich anderes als die reale Armut an der Grenze zum Existenzminimum, wie sie in vielen Ländern der Dritten Welt herrscht.
Legt man zudem einen regionalen Ansatz zugrunde, wie ihn das Statistische Bundesamt ins Spiel bringt (regionales Durschnittseinkommen als Berechnungsbasis), wird auch das angeblich durchgehende Ost-West-Muster des Atlas löchrig. (ml)