Derart umfassende politische und wirtschaftliche Ereignisse, wie die derzeitige Wirtschaftskrise, bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Vorstellungen der Menschen, wie die Wirtschaft idealerweise zu funktionieren hätte. Die Erwartungen an das Handeln von Unternehmen, Institutionen und an Marken verändern sich nachhaltig und beinhalten zunehmend gesellschaftspolitische Forderungen. Das ist das Ergebnis einer Studie der internationalen Strategieberatung BBDO Consulting. Im April 2009 wurden online die Wertvorstellungen von 1000 Bundesbürgern ab 16 Jahren und ihre Erwartungen an ein ideales Unternehmen abgefragt.
Profitmaximierung (65 %) und Macht (56 %) waren die am häufigsten genannten Attribute, die nach Meinung der Befragten die gegenwärtige gesellschaftliche Situation bestimmen. Demgegenüber steht der Wunsch nach Glaubwürdigkeit (57 %), Sicherheit und Verantwortungsbewusstsein (56 %) sowie Chancengleichheit (54 %) und Familienfreundlichkeit (53 %). Gesundheit, Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Gewährleistung von wirtschaftlicher Sicherheit und Wohlstand sind die priorisierten gesellschaftlichen Ziele.
Von der Bevölkerung verstärkt befürwortet werden Familie, Fürsorge und Einfachheit, „Ellbogenmentalität“, Leistung und Besitz treten in den Hintergrund. 94 % fordern „mehr Verantwortung im Umgang miteinander“. Bei den persönlichen Werten stehen Ehrlichkeit (71 %), Sicherheit (65 %) und Vertrauen (63 %) ganz oben.
Deutlich erkennbar wurde in der Umfrage ein Rückzug ins Private. Partnerschaften und soziale Netzwerke vermitteln den Eindruck einer sicheren Zukunft, alles, was sich dem persönlichen Einflussbereich entzieht, erscheint unsicher und unkontrollierbar. Individualität (22 %) und soziale Anerkennung (16 %) werden unwichtiger. Die Risikobereitschaft liegt bei gerade einmal 3 %. Selbst die Religion kann mit lediglich 9 % keinen echten Halt mehr bieten.
Erwartungen an Unternehmen allgemein
Bei den Erwartungen der Befragten an ein „ideales Unternehmen“ hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre ebenfalls ein deutlicher Wandel vollzogen. Auch hier steht das Attribut „Menschlichkeit“ mit 95 % und einem Plus von 6 Prozentpunkten an erster Stelle, Leistungsorientierung verzeichnet mit 40 % und einem Minus von 4 Prozentpunkten die stärkste Abnahme. Menschlichkeit, Kundennähe und Vertrauen erfahren den größten Bedeutungszuwachs. Das ideale Unternehmen ist somit quasi ein „Teil der Familie“.
Darüber hinaus stehen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis (88 %), hohe Qualität (87 %) und ein Eingehen auf die Kundenbedürfnisse (83 %) im Fokus des idealen Unternehmens aus Sicht des Kunden.
Erwartungen an Finanzdienstleister
Noch ein etwas anderes Bild ergab sich in Bezug auf Finanzdienstleister: Als Top-5-Eigenschaften eines idealen Finanzdienstleisters nannten 57 % der Befragten „vertrauenswürdig und ehrlich“, 42 % „kompetent und zuverlässig“, 40 % „seriös“ und 25 % „kundennah“. Neben einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis charakterisieren Kundennähe, hohe Transparenz und gute Beratung den idealen Finanzdienstleister, eine große Angebotsvielfalt halten hingegen nur 7 % der Befragten für besonders wichtig.
Auch die finanziellen Prioritäten haben sich in den letzten beiden Jahren verschoben: Das Bedürfnis, Ersparnisse für Notfälle (56 %, ein Plus von 16 Prozentpunkten) und für die Absicherung der Familie (35 %, ein Plus von 11 Prozentpunkten) bereitzuhaben, hat am stärksten zugenommen. Ausgaben wie z. B. für eine große Urlaubsreise werden erst einmal zurückgestellt (20 %). Zusätzlich zu günstigen Konditionen wünschen sich Kunden Zuverlässigkeit und Vertrauen bei der Beratung, persönliche Betreuung und Einfachheit der Angebote, dabei ist über ein Drittel nicht bereit, für gute Betreuung und persönliche Beratung extra zu bezahlen.
Es geht auch anders
MittelstandsWiki hat anlässlich der Umfrageergebnisse zu den Erwartungen an Finanzdienstleister ein Interview mit dem Rostocker Finanzberater Thomas Janzen geführt, der seit Jahren mit seinen Kunden ganz bewusst einen anderen Weg geht, als die Mehrheit seiner Kollegen. Er betreibt nach seinen eigenen Worten eine „ganzheitliche“ Beratung, bei der die langfristigen Lebenspläne seiner Kunden anstelle kurzfristiger Renditen im Mittelpunkt stehen. Bei der Umsetzung bevorzugt er eine Strategie der ruhigen Hand und vorausschauenden Absicherung – und wirft damit viele Börsenweisheiten der letzten Jahre über den Haufen. Sehr erfolgreich, wie er uns im Interview bewies. Lesen Sie selbst.
Fazit der Studie
Unternehmen müssen jetzt die zentralen Weichen stellen: Weg von der reinen Profitmaximierung hin zu einem „human capitalism“, der auf Ebene der Unternehmensführung verankert ist und den Kunden als Partner auf Augenhöhe begreift. Denn das Verstehen der Kundenbedürfnisse wird zur absoluten Schlüsselqualifikation. Ein weiterer Erfolgsfaktor lautet: Komplexitätsreduktion. Gerade in der Krise sind die Verbraucher überfordert, blicken nicht mehr durch und suchen Orientierung. „Weniger, klarer und ehrlicher“ ist die Formel für die nächsten Jahre.
Es geht außerdem darum, das Vertrauen zurückzugewinnen durch kompetenten, zuverlässigen und seriösen Dialog. Insbesondere Finanzdienstleister sollten ihr Wissen um den Wertewandel nutzen, um neue Produkte und Vorsorgeprogramme für Notfälle – nicht nur für die Altersvorsorge – zu entwickeln, denn das Leben verläuft nicht linear. Diese zentralen Erkenntnisse müssen über die komplette Wertschöpfungskette hinweg berücksichtigt, in der Marketing- und Kommunikationspolitik über alle Stakeholder-Gruppen hin abgestimmt und über den gesamten Einkaufsprozess ausgesteuert werden.
Darüber hinaus ist der Aufbau neuer geeigneter Akquisitionsinstrumente ebenso erforderlich wie eine grundlegende Umgestaltung der Kundenpartnerschaften, ein neues „Sich-Kümmern“ statt Einheits-CRM.
(ots/ml)