Auch wenn die Weltwirtschaft in der tiefsten Rezession seit der großen Depression steckt, wie das Münchner ifo Institut gleich zu Beginn seiner aktuellen Konjunkturprognose feststellt – der freie Fall ist bereits in einen sanfteren Gleitsinkflug übergegangen. Das vom ifo Institut erhobene Weltwirtschaftsklima ist im zweiten Quartal 2009 erstmals seit dem Herbst 2007 wieder gestiegen. Der Anstieg des Indikators resultiert laut ifo-Experten jedoch ausschließlich aus den günstigeren Erwartungen für die nächsten sechs Monate.Die Einschätzung der derzeitigen wirtschaftlichen Lage hat sich demgegenüber noch weiter verschlechtert und fiel auf einen neuen historischen Tiefstand. Mit einer schnellen Erholung der Weltwirtschaft sei nicht zu rechen, warnt das Institut.
Ein Kernproblem bleibe die prekäre Eigenkapitalsituation des Bankensektors in den USA und Europa. Sie resultiere daraus, dass Abschreibungen und Wertberichtigungen speziell bei strukturierten Wertpapieren in einer Höhe vorgenommen werden mussten, die für viele Banken existenzbedrohend wurde. Zwar konnten nach der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 weitere Pleiten großer Finanzinstitute durch massive staatliche Interventionen verhindert werden. Jedoch drohen auch für die Zukunft zusätzliche Wertberichtigungen in erheblichem Umfang, zumal rezessionsbedingt neue Ausfälle von Kreditforderungen hinzukommen werden.
Die in einigen wichtigen Ländern zusätzlich entstandene Depression am Immobilienmarkt erhöht den Abschreibungsbedarf der Banken weiter. Die Banken werden deshalb versuchen, das extrem angespannte Verhältnis ihres Eigenkapitals zur Bilanzsumme zu verbessern und zu diesem Zweck die Kreditvergabe an Haushalte und nichtfinanzielle Unternehmen vor allem dann verknappen, wenn die derzeit rezessionsbedingt niedrige Kreditnachfrage wieder steigt. Das wird den Konjunkturaufschwung erheblich verzögern.
Nach der vorliegenden Prognose wird sich die Rezession in den USA im Sommerhalbjahr 2009 fortsetzen. Es ist zu erwarten, dass der Konsum der privaten Haushalte trotz der umfangreichen Stützungsmaßnahmen seitens der Fiskalpolitik rückläufig sein wird, auch weil sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter verschlechtern dürfte. Die Investitionen werden sich nur schrittweise stabilisieren.
In Japan dürfte sich die Konjunktur – nach ihrem kräftigen Einbruch zu Beginn des Jahres – langsam erholen. Zwar wird die Binnennachfrage voraussichtlich sinken. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der Außenhandel zumindest zaghafte Wachstumsimpulse entfalten wird, insbesondere da sich die konjunkturelle Lage in einigen Ländern, die bedeutende Handelpartner sind, etwas aufhellen dürfte. Für den Euroraum prognostiziert das Institut eine zunächst anhaltende Schwäche der Wirtschaft. So dürften der Konsum der privaten Haushalte infolge der verschärften Situation am Arbeitsmarkt zurückgehen und die Investitionen weiter absacken. Auch vom Außenhandel ist kein stimulierender Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu erwarten.
Die wirtschaftliche Expansion in den Schwellenländern werde sich im Prognosezeitraum allmählich beleben, glauben die ifo-Analysten. In China werde die Konjunktur von dem Impuls des milliardenschweren Konjunkturpakets profitieren; allerdings seien die Erwartungen bezüglich einer baldigen Rückkehr zu alten Boomzeiten gedämpft, da die Ausfuhrwirtschaft, die eine wichtige Säule des vorangegangenen Aufschwungs darstellte, auch weiterhin unter der globalen Wirtschaftsschwäche leiden werde.
In Indien werde die Konjunktur infolge der soliden Expansion der Binnennachfrage wohl vergleichsweise kräftig bleiben, glauben die Experten. Dagegen werde sich die Konjunktur in den übrigen Ländern Ostasiens – nach einem vorübergehenden Schrumpfen – nur schrittweise stabilisieren. In Lateinamerika werden die stimulierenden Effekte der teilweise umfangreichen expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen die konjunkturelle Erholung unterstützen. Auch dürften wichtige Länder der Region zunehmend von der jüngst einsetzenden Erhöhung der Rohstoffpreise profitieren, hofft das Institut.
Insgesamt erwarten die Analysten in München, dass das Bruttoinlandsprodukt der Welt im Jahr 2009 um 1,8 % sinken werde, ehe es sich im Jahr 2010 um 2 % erhöhe. Diese Prognose bezieht sich auf die vom Internationalen Währungsfond (IMF) berücksichtigten Länder, deren Zuwachsraten mit Hilfe der Kaufkraftparitäten des Jahres 2008 gewichtet wurden. Der Anstieg der Preise werde sich weltweit zunächst stark abflachen. Die Arbeitslosigkeit dürfte infolge der konjunkturellen Schwäche weiter deutlich zunehmen.
Die Prognose des ifo Instituts stützt sich auf die Annahme, dass der Preis für Rohöl der Sorte Brent im Prognosezeitraum um die 70 US-Dollar je Barrel schwankt und dass sich der Wechselkurs des Euro bei etwa 1,40 US-Dollar stabilisiert. Unter diesen Rahmenbedingungen werde sich der Welthandel zunächst weiter rückläufig entwickeln, ehe er sich allmählich wieder erhöhe. So werde er im Jahr 2009 voraussichtlich um 14 % fallen, um dann 2010 um 3 % wieder zu steigen.
Die deutsche Wirtschaft befinde sich in der schwersten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik, mahnt das Institut. Nach den bisher vorliegenden amtlichen Ergebnissen sei die gesamtwirtschaftliche Produktion im ersten Quartal 2009 saison- und kalenderbereinigt gegenüber dem Jahresendquartal um 3,8 % gesunken. Bereits im vierten Quartal 2008 war die Wirtschaftsleistung um 2,2 % geschrumpft. Deutschland verzeichne damit von allen großen europäischen Volkswirtschaften den schärfsten Wachstumseinbruch. Auch im historischen Rückblick ist dieser Einbruch ohne Beispiel. Maßgeblich für die katastrophale Wirtschaftsentwicklung seit vergangenem Herbst ist laut ifo Institut der weltweit synchrone Nachfrageeinbruch nach Investitions- und langlebigen Konsumgütern, der sich im Gefolge der internationalen Finanz- und Vertrauenskrise eingestellt hat. Die deutsche Wirtschaft sei von diesem externen Nachfrageschock aufgrund der hohen Außenhandelsabhängigkeit und der Spezialisierung auf besonders konjunktursensible Industrieerzeugnisse überdurchschnittlich betroffen.
Die gesamtwirtschaftliche Produktion dürfte nach ihrem drastischen Rückgang im Winterhalbjahr 2008/09 auch im zweiten Quartal gesunken sein, jedoch mit deutlich verringertem Tempo (laufende Rate: -0,7 %). Für den Beginn einer allmählichen Stabilisierung spreche die aktuelle Entwicklung einer Reihe von gewichtigen Konjunkturindikatoren. Die ifo-Experten verweisen auf Indikatoren wie Produktion, Auftragseingang und das ifo Geschäftsklima. Zum Rückgang der Wirtschaftsleistung tragen ihrer Meinung nach vor allem die Industrie und der Sektor Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleistungen bei. Im ersten Halbjahr 2009 ist das reale Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2008 saison- und kalenderbereinigt um 5,2 % geschrumpft. Im Vorjahresvergleich liegt das Minus bei 7,5 %.
Im weiteren Prognosezeitraum werde sich der Abschwung fortsetzen, warnt das Münchner Institut. Die gesamtwirtschaftliche Produktion dürfte, nach einem vorübergehenden, primär durch fiskalische Impulse getriebenen Anstieg im Sommer, tendenziell weiter sinken. Zwar werden vom Außenbeitrag voraussichtlich keine dämpfenden Effekte mehr ausgehen, jedoch setze sich der Rückgang bei den Investitionen in Ausrüstungen und Bauten fort. Auch sei der Lagerabbau noch nicht abgeschlossen, warnen die Experten.
Zudem werde der private Konsum ab den Herbstmonaten bei deutlich abnehmender Beschäftigung und stark steigender Arbeitslosigkeit sinken. Erst im Frühjahr 2010 sei mit einer Bodenbildung bei Produktion und Nachfrage zu rechnen. Danach werde die reale Wirtschaftsleistung wahrscheinlich wieder etwas zunehmen. Bei sich allmählich bessernder Weltkonjunktur ziehen die Exporte dann leicht an; auch die Ausrüstungsinvestitionen dürften sich moderat erholen. Gegen Ende 2010 könne zudem mit Vorzieheffekten aufgrund der Rückführung der degressiven Abschreibung gerechnet werden.
Bei den Bauinvestitionen werden die Konjunkturpakete voraussichtlich wirken, glauben die Analysten. Alles in allem dürfte die konjunkturelle Dynamik aufgrund der Schwäche des privaten Konsums jedoch recht niedrig bleiben, so dass der gesamtwirtschaftliche Auslastungsgrad bis zuletzt weiter abnehme. Im Jahresdurchschnitt 2009 dürfte die gesamtwirtschaftliche Produktion dem Ursprungswert nach wie auch kalenderbereinigt um 6,3 % sinken. Im Jahr 2010 ergebe sich aufgrund des niedrigen Ausgangsniveaus ein Rückgang um 0,3 % (kalenderbereinigt: 0,4 %), prognostizieren die Experten.
Die Rezession werde sich auf dem Arbeitsmarkt ab den Sommermonaten 2009 verstärkt bemerkbar machen warnt das ifo Institut. Der Aufbau von Kurzarbeit werde zum Stillstand kommen, und die Arbeitslosenzahlen dürften beschleunigt zunehmen. Im Durchschnitt dieses Jahres könne die Erwerbstätigenzahl um 460 000 sinken, im nächsten Jahr sogar um 1,05 Mill. Die Zahl der Arbeitslosen werde im Jahr 2009 durchschnittlich um 320.000 und im Jahr 2010 um 760.000 steigen.
Bei alledem werde das Verbraucherpreisniveau wahrscheinlich nahezu stabil bleiben. Im laufenden Jahr sei mit einer Inflationsrate um 0,2 % zu rechnen. Im Jahresdurchschnitt 2010 dürfte die Rate mit 0,4 % nur wenig höher liegen. Es sei zu erwarten, dass das staatliche Budgetdefizit im Prognosezeitraum außerordentlich stark ansteigen wird. Im Jahr 2009 werde sich das Defizit in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich auf 3,4 % belaufen, im Jahr 2010 sogar auf 6,0 %. Ursächlich hierfür ist nach Einschätzung der Analysten die konjunkturelle Entwicklung, die zu enormen Mindereinnahmen und Mehrausgaben führe. Aber es werde durch die Maßnahmenpakete der Bundesregierung auch unvorhersehbare weitere Impulse geben.
Die ausführliche „ifo Konjunkturprognose 2009/2010“ steht in einer vorläufigen Fassung als kostenloser Download zur Verfügung. (ifo/ml)