Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) zieht ein Jahr nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers eine aus Anlegersicht eher durchwachsene Bilanz. „Lehman war wie ein Super-Gau für die globalen Kapitalmärkte mit einer ungeheuren Kettenreaktion“, so Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der DSW. Die Börsen verloren innerhalb von Stunden 700 Milliarden Dollar an Wert. Das Volumen der staatlichen Rettungsprogramme beläuft sich bis heute auf mehr als fünf Billionen Euro. Das Vertrauen der Anleger – und nicht nur deren Vertrauen – in das Funktionieren des Systems bleibe nachhaltig gestört, klagt Hocker.Die Schutzvereinigung habe bereits im September 2008 gefordert, Lehren aus der Krise zu ziehen. Einige Punkte seien auch umgesetzt worden lobt Hocker. Etwa die Forderung nach einem Verbot für ungedeckte Leerverkäufe. Dazu geben es in den USA oder der Bundesrepublik bereits entsprechende unbefristete Regelungen.
Auch der Ruf nach einer supranationalen Finanzaufsicht werde ernsthaft diskutiert. „Dass wir nun in Europa eine solche EU-Behörde schaffen wollen, ist sicher ein Schritt nach vorn. Sie kann international operierende Konzerne besser überwachen“, so Hocker.
Aber beim Stichwort Bankberatung seien die Konsequenzen nur halbherzig umgesetzt. Inzwischen gebe es zwar verschärfte Regeln. So seien ab Januar 2010 ausführliche Protokolle über das Beratungsgespräch anzufertigen. Auch die Verjährungsfrist für Ansprüche aus fehlerhafter Anlageberatung wurde auf bis zu zehn Jahre verlängert. Damit hielten Bankkunden scharfe Schwerter in Händen, mit denen sie im Nachhinein Falschberatungen belegen können, lobt Hocker einige der eingeleiteten Maßnahmen.
„Ob allerdings die Qualität der eigentlichen Beratung durch diese Regulierung steigt, ist aber eher zweifelhaft“, warnt Hocker. Die DSW rechne vielmehr damit, dass die Banken ihre Beratungsleistungen deutlich einschränken und verstärkt Standardprodukte anbieten werden, um einer möglichen Haftung zu entgehen.
In der öffentlichen Diskussion stünden wegen des Bundestagswahlkampfes vor allem die Forderungen nach Deckelung der Managergehälter auf der Agenda, glaubt Hocker. Hier dürfe der Gesetzgeber aber nicht überreagieren. „Die Gehälter der Vorstände sind ausreichend reguliert. Zwei Gesetze und der Deutsche Corporate-Governance-Kodex geben den Rahmen vor. Große Exzesse sehen wir derzeit hier nicht mehr.“ Anders sehe es bei den Boni für Investmentbanker und Händler aus. Sie würden für kurzfristige Erfolge bezahlt. Entsprechend groß sei noch immer der Anreiz, dafür kurzfristig immense Risiken einzugehen.
Die Lehman-Pleite habe auch gezeigt, dass viele Anleger ihr Geld mit Zertifikaten verloren haben, die sie nicht richtig verstanden haben. Komplizierte Bonusschwellen oder Hebel sind für den normalgebildeten Anleger kaum nachvollziehbar, mahnt die DWS. Generell sollten die Produkte einfacher und verständlicher werden. Zudem seien die Prospekte sehr lang und für Otto Normalverbraucher meist unverständlich. Hier sollten Chancen und Risiken sowie die Konstruktion des Wertpapiers kurz, knapp und klar dargestellt werden.
Die größte Baustelle bleibe aber die bessere wirtschaftliche Allgemeinbildung der Bundesbürger. Möglich sei dies jedoch nur, indem Ökonomie und Schule näher zusammenrücken. Zudem müssten auch Erwachsene die Möglichkeit erhalten, sich Grundkenntnisse der Geldanlage anzueignen, wie sie z. B. die DSW in ihren Seminaren anbiete. Staatliche Förderprogramme seien daher zwingend nötig.
Die DSW stellt aber auch fest, nach der Lehman-Pleite seien Banken beim Vertrieb ihrer Produkte deutlich defensiver und seriöser als noch vor einem Jahr und die Anleger viel aufmerksamer. Sichtbar sei das am Zertifikatemarkt. Das Volumen habe sich halbiert, nachgefragt werden aktuell vor allem sehr einfache und transparente Produkte wie etwa Indexzertifikate.
Aber die Schutzvereinigung befürchtet, dass die Vorsicht der Kunden sinken und die Jagd nach höherer Rendite wieder an Stellenwert gewinnen wird, je mehr sich das Geschehen an den Märkten normalisiert. „Machen wir uns nichts vor. Die nächste Blase kommt bestimmt“, so Hocker.
Wie aber geht es konkret für die Lehman-Geschädigten weiter? Rund 50.000 geschädigte Zertifikatebesitzer gibt es bundesweit nach Schätzungen der DSW. Ihr Schaden dürfte sich etwa bei einer Milliarde Euro bewegen. Obwohl Anleger bei Landgerichten mehr als ein Dutzend Urteile auf Schadensersatz für sich erstritten haben, sind das erst die Vorboten der Prozesswelle, die im Fall Lehman noch bevorsteht.
Zeitgleich müssen Zertfikate-Besitzer nun aber auch im Insolvenzverfahren in den USA aktiv werden. Bis zum 2. November müssen ihre Ansprüche laut DSW dort angemeldet werden, damit sie gegebenenfalls eine Entschädigung erhalten. Nähere Informationen dazu gibt es auf der Homepage der Schutzvereinigung.
(DSW/ml)