Wirtschaftswissenschaft: Führende Ökonomen setzen auf Laborexperimente

Viele Sozialwissenschaftler setzen inzwischen auf Laborexperimente, um mehr über die Beweggründe menschlicher Entscheidungen zu erfahren. Vor allem die Finanzkrise hat entsprechend Tendenzen in der Ökonomik verstärkt, legen die Ereignisse doch den Verdacht nahe, dass sich wesentliche Teile des Wirtschaftsgeschehens nicht mit den mathematischen Verfahren der klassischen Ökonomik erklären lassen, wohl aber mit den Verfahren der Verhaltenswissenschaft.Unter anderem entstand aus diesem Denkansatz die Verhaltensökonomik (Behavioral Finance). Zu den methodischen Ansätzen der Verhaltensforschung wiederum gehören vor allem empirische Verfahren, darunter das Laborexperiment.

Inzwischen ist allerdings ein Streit darüber entbrannt, wie übertragbar die so gewonnenen Daten sind. In der scharf geführten Debatte haben sich nun zwei führende Ökonomen zu Wort gemeldet: Der Träger des Leibnizpreises Armin Falk von der Universität Bonn und der Wirtschaftsnobelpreisträger James J. Heckman brechen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Science“ eine Lanze für das Labor. Aus ihrer Sicht lassen die Argumente der Kritiker ironischerweise nur eine Antwort zu: Mehr Laborexperimente müssten her, nicht weniger.

Eines der einfachsten Laborexperimente ist das sogenannte „Ultimatum-Spiel“. Damit lässt sich untersuchen, wie Menschen auf Fairness oder Unfairness reagieren. Die Teilnehmer werden zu Paaren zusammen gelost. Der Spielleiter stellt den Partnern nun eine gewisse Summe in Aussicht – beispielsweise zehn Euro. Einzige Voraussetzung: Die beiden müssen sich über die Verteilung einigen. Verhandelt wird dabei aber nicht: Spieler 1 darf einen Vorschlag machen (z. B. „ich bekomme acht Euro, du zwei“). Spieler 2 kann nur zustimmen oder ablehnen. Wenn er zustimmt, bekommen beide ihr Geld. Wenn er ablehnt, gehen beide leer aus.

Würden sich Menschen rein rational verhalten, würde sich Spieler 2 auch noch mit einem Cent zufriedengeben – immer noch besser als nichts. Tatsächlich lehnt er geringe Angebote aber in aller Regel ab: Aus seiner Sicht sind sie so unfair, dass er die Vereinbarung lieber ganz platzen lässt. Dann profitiert Spieler 1 wenigstens auch nicht. Viele Ökonomen folgern daraus, dass es eine Art „Auge-um-Auge“-Prinzip gibt, nach dem Menschen handeln. Sie nennen dieses Verhalten „reziprok“.

Andere Wirtschaftswissenschaftler bezweifeln dagegen die Aussagekraft solcher Labordaten: Die Spielsituation sei zu künstlich, als dass sich die Ergebnisse auf reale Zusammenhänge übertragen ließen. Außerdem werden derartige Experimente meist mit Studenten durchgeführt. Das schränke ihre Aussagekraft für die reale Wirtschaft weiter ein. Auch die geringen Geldbeträge, die im Labor meist bezahlt würden, seien nicht realistisch.

„Im Grunde genommen sprechen all diese Einwände aber nicht gegen Laborexperimente als solche“, betont der Bonner Ökonom Professor Dr. Armin Falk. „Im Gegenteil, sie schreien geradezu nach mehr Experimenten. Denn dann kann man die Bedingungen systematisch variieren: Wie sieht es aus, wenn ältere Menschen spielen, wie, wenn Manager ins Labor geladen werden? Was ist, wenn im Spiel Hunderte oder gar Tausende von Euro zu gewinnen sind?“

Die Ablehnung von Laborexperimenten sei eigentlich ein Treppenwitz, der für Naturwissenschaftler nicht nachvollziehbar wäre, glaubt Falk. „Sie sind im Gegenteil ein sehr wichtiges Instrument, um etwas über die Beweggründe ökonomischer Entscheidungen zu erfahren.“ Es gebe aber keine empirische Königsdisziplin. „Wir brauchen in den Sozialwissenschaften alle empirischen Methoden – Experimente, Befragungen und Felddaten. Jede davon hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Die Kunst besteht darin, die für die jeweilige Fragestellung geeignetste Methode zu wählen.“

(idw/ml)

Kommentar

Das Zusammenwachsen von Sozialwissenschaft und Verhaltenspsychologie mit der klassischen Wirtschaftswissenschaft zu neuen Denkschulen in der Ökonomik ist vielleicht die wichtigste positive Auswirkung der Finanzkrise – zumindest aber die spannendste.

Zeit für einen großen Schritt nach vorne ist es schon lange – höchste Zeit sogar. Denn je komplexer und globaler die Wirtschaft im allgemeinen und die Finanzmärkte im besonderen werden, desto dramatischer wirkt sich das Fehlen ausreichend exakter Theorien aus. Wachsende Verflechtungen und globale Reaktionen der Märkte führen dazu, dass viel schneller und umfassender als in früheren Zeiten Dominoeffekte auftreten und schon kleine Impulse gigantische Schäden nach sich ziehen.

Man kann die neuen Denkmodelle mögen oder nicht – entscheidend ist, dass sie nach wissenschaftlichen Prinzipien ausgelotet werden, denn soviel ist seit der jüngsten Krise klar: Der klassische Erklärungsansatz taugt für die globale Wirtschaft längst nicht mehr.

(ml)