Die Kluft zwischen den Löhnen Vollzeitbeschäftigter mit niedrigen und mittleren Einkommen wird seit 1997 in Deutschland immer größer, behauptet eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Während Geringverdiener Ende der 90er Jahre noch 64 % des Einkommens eines Arbeitnehmers mit mittlerem Einkommen erzielten, erreichten sie 2007 nur noch 53 %. Dieser Rückgang ist im internationalen Vergleich der stärkste von 20 untersuchten OECD-Ländern. Die Lohnungleichheit in Deutschland habe demnach mittlerweile das Niveau Großbritanniens erreicht.Während ansonsten lediglich in Polen und Südkorea die Löhne spürbar ungleicher wurden, hat sich in den meisten übrigen Ländern die Einkommensschere nicht weiter geöffnet, behauptet die Studie weiter. Dies gelte auch für die USA, wo die Spreizung allerdings traditionell besonders hoch ist und Niedriglöhne weniger als die Hälfte mittlerer Einkommen erreichen.
Im oberen Bereich der Lohnskala ist in Deutschland die Spreizung deutlich geringer und im 10-Jahresvergleich sogar gleichmäßiger geworden. Die Bezahlung von Beziehern hoher Löhne übersteigt mittlere Einkommen um etwa drei Viertel. In diesem Bereich liegt die Bundesrepublik auf einem Niveau mit den Niederlanden, Dänemark oder Schweden.
Der uneinheitlichen Lohnentwicklung steht allerdings auch eine wachsende Beschäftigung gegenüber. Der Anteil der Beschäftigten an allen Personen im erwerbsfähigen Alter stieg von 2001 bis 2008 um 4,4 Prozentpunkte auf 70,2 % an. Damit hat Deutschland zusammen mit sechs weiteren EU-Ländern das Beschäftigungsziel der europäischen Lissabon-Strategie erreicht. „Die Arbeitsmarktreformen im ablaufenden Jahrzehnt haben zu diesem Beschäftigungserfolg beigetragen, allerdings um den Preis zunehmender Lohnungleichheit“, so Projektleiter Eric Thode. Ein Großteil der neuen Arbeitsplätze sei in Bereichen wie Zeitarbeit, geringfügiger oder befristeter Beschäftigung insbesondere im Dienstleistungssektor entstanden.
Die Hartz-Gesetze und Agenda 2010 haben den Arbeitsmarkt zwar flexibler gemacht, allerdings auch neue Risiken geschaffen, die vor allem von Jugendlichen, Älteren oder Geringqualifizierten getragen werden. In Deutschland verschärft sich die ohnehin stark ausgeprägte Kluft zwischen gut abgesicherten Erwerbstätigen und Arbeitslosen bzw. geringfügig und befristet Beschäftigten. Im Zuge der Krise zeigt sich dies besonders am Rückgang der Zeitarbeit, wo die Beschäftigung zwischen Juli 2008 und Juli 2009 weit stärker als in allen anderen Branchen um 25 Prozent einbrach.
Mit der Möglichkeit, ehemals Beschäftigte im selben Unternehmen erneut befristet einzustellen, wie derzeitige Pläne der neuen Bundesregierung vorsehen, werde das Regulierungs- und Absicherungsgefälle zwischen diesen beiden Gruppen voraussichtlich nochmals verschärft, warnt die Studie.
Die Studie Arbeitsmarkt und Beschäftigung 2000 – 2009: Beschäftigungserfolge bei steigender Differenzierung ist Teil des Projekts Benchmarking Deutschland der Bertelsmann Stiftung und des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Das Projekt soll bis März 2010 insgesamt vier Studien veröffentlichen, die sich mit dem deutschen Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich beschäftigen. Atypische Beschäftigungsformen und das Normalarbeitsverhältnis werden dabei ebenso analysiert wie die verschiedenen Stationen, die ein Mensch in seinem Erwerbsleben durchläuft.
(idw/ml)