In ihrem aktuellen Zwei-Jahres-Gutachten hoben die Experten des Münchner ifo Instituts die Konjunkturprognosen für Deutschland deutlich an. Die deutsche Wirtschaft sei weiter auf Erholungskurs, so die Ökonomen. Zwar sei die Produktion im Winterhalbjahr 2009/10 durch Sonderfaktoren merklich gedämpft worden, aber vorlaufende Indikatoren wie das ifo Geschäftsklima lassen erkennen, dass der Trend zur konjunkturellen Erholung noch immer anhält. So haben im Juni – erstmals wieder seit dem Herbst des Jahres 2008 – mehr Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes eine positive Geschäftslage gemeldet als eine negative. Angeschoben wird die Erholung derzeit von den Exporten, vor allem jenen nach Asien.
Die deutsche Wirtschaft, die aufgrund ihrer spezifischen Exportorientierung in besonderem Maße von der vorangegangenen Rezession betroffen war, profitiert nunmehr auch in besonderem Maße von der weltwirtschaftlichen Erholung. Für das Jahr 2010 sei deshalb mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,1 % zu rechnen, prognostiziert das ifo Institut.
Im kommenden Jahr werde zudem die Binnenkonjunktur etwas an Fahrt gewinnen. Zwar schwenkt die Bundesregierung mit den Sparbeschlüssen der Klausurtagung vom 6. und 7. Juni 2010 auf einen Konsolidierungspfad ein, und die Konjunkturprogramme laufen aus, was für sich genommen dämpfend wirkt. Dem stehe jedoch das positive Signal gegenüber, dass der deutsche Staat seine Haushalte im Einklang mit der Schuldenbremse zu sanieren beginnt. In einer Zeit großen Misstrauens gegenüber öffentlichen Schuldnern dürfte dies einen expansiven Vertrauenseffekt auf die deutschen Konsumenten und Investoren haben, die zudem auch weiterhin von extrem niedrigen Zinsen profitieren werden. Insgesamt werde 2011 die gesamtwirtschaftliche Produktion um 1,5 % zulegen, glauben die Experten des Münchner Instituts.
Die konjunkturelle Erholung werde zudem auf den Arbeitsmarkt ausstrahlen. Im Durchschnitt dieses Jahres dürfte den Erwartungen des ifo Instituts entsprechend die Erwerbstätigenzahl um 80.000 steigen, im nächsten Jahr um 120.000. Die Zahl der Arbeitslosen werde dagegen 2010 und 2011 jeweils um 190.000 sinken. Das staatliche Budgetdefizit in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt im laufenden Jahr voraussichtlich 4,2 %. Im nächsten Jahr soll es aufgrund der weiteren wirtschaftlichen Erholung und damit verbundenen günstigeren Lage auf dem Arbeitsmarkt auf 3,4 % des BIP sinken. Zu dieser Entwicklung trage auch das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung spürbar bei. Das strukturelle Defizit dürfte im Jahr 2010 etwa 3,5 % betragen und auf 2,9 % im Jahr 2011 sinken. Die Verbesserung des strukturellen Budgetsaldos um 0,6 Prozentpunkte genügt im Übrigen den Kriterien der deutschen Schuldenbremse.
Die Weltkonjunktur insgesamt habe – unterstützt von expansiven Impulsen der Geldpolitik und der staatlichen Konjunkturprogramme – im laufenden Jahr weiter Tritt gefasst, so das Münchner Institut. Nach Ländern und Regionen differenziert sei die Dynamik der Erholung allerdings recht unterschiedlich. So habe sich das vom ifo Institut erhobene Wirtschaftsklima vor allem in Asien kräftig verbessert. Auch in Nordamerika sei der Indikator gestiegen und liege nun leicht über seinem langfristigen Durchschnitt. In Westeuropa dagegen sei er nahezu unverändert geblieben und erreiche nicht seinen langjährigen Mittelwert.
Die weltwirtschaftliche Erholung werde sich im Prognosezeitraum insgesamt gesehen aber fortsetzen, prognostizieren die ifo-Experten. Das Bruttoinlandsprodukt der Welt dürfte 2010 demnach um 4,1 % und 2011 um 3,5 % zunehmen. Die Gruppe der Schwellenländer werde dabei die größte Dynamik entfalten. In den USA werde der diesjährigen kräftigen Erholung voraussichtlich ein Jahr sehr moderaten Wachstums folgen, da die fiskalische Stimulierung ausläuft und strukturelle Probleme wie die geringe inländische Ersparnisbildung ungelöst sind. Die Staaten der Europäischen Union (EU) können sich jedoch nur langsam aus der Krise lösen und die Entwicklung werde sehr heterogen verlaufen, warnen die ifo-Analysten. Die vom Misstrauen der Finanzmärkte am stärksten betroffenen Defizitländer haben einen drastischen Konsolidierungskurs eingeschlagen und dürften deshalb in diesem Jahr in der Rezession verharren.
Im Zuge der griechischen Schuldenkrise sind die internationalen Finanzmärkte wieder in schwere Turbulenzen geraten. Die stark verschlechterte Haushalts- und Wirtschaftslage Griechenlands führte im Mai zu einem massiven Vertrauensverlust, von dem inzwischen auch andere Mitgliedsstaaten des Euroraums mit hoher Verschuldung erfasst worden sind. In diesen Ländern brachen die Kurse von Staatsschuldtiteln ein, und auch der Außenwert des Euro sank spürbar. Mit den zwischenzeitlich von den Finanzministern beschlossenen Stützungsmaßnahmen für Griechenland und der Schaffung eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus konnte zwar dem Kursverfall von südeuropäischen Staatspapieren entgegengewirkt und die Volatilität der Märkte reduziert werden; zu einer Trendwende an den internationalen Finanzmärkten sei es aber nicht gekommen, warnen die Experten. Die Zinsspreads seien zuletzt eher größer als vor dem Beschluss über die europäischen Rettungspakete am 8. und 9. Mai gewesen.
In den kommenden Jahren seien große Konsolidierungsanstrengungen aller Defizitländer erforderlich, mahnt das Institut. Wichtig dürfte dabei der Abbau der Ungleichgewichte sein, der durch die Zinsentwicklung unterstützt wird. Hierzu tragen zwei Mechanismen bei. Zum einen sinken bei geänderter Risikoeinschätzung die relativen Ertragsaussichten in den Defizitländern. Dies hat zur Folge, dass verstärkt Kapital in den stabileren Überschussländern angeboten wird, was dort die Kreditkonditionen verbessert und die Renditen reduziert. Zum anderen dürften die Notenbankzinsen aufgrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung im Euroraum insgesamt auf einem aus Sicht der Überschussländer niedrigen Niveau bleiben. Davon dürfte speziell die deutsche Binnennachfrage profitieren, während die Risikoaufschläge in den Schuldenländern den Effekt der niedrigen Notenbankzinsen vermutlich mehr als kompensieren werden. In Deutschland sei deswegen mit einem Anziehen der Wohnungsbauinvestitionen zu rechnen, warnen die Münchner Experten. Aber auch die Unternehmensinvestitionen, der private Konsum und damit letztlich die Importnachfrage würden gestützt. Dies dürfte in Deutschland schneller steigende Löhne und Preise nach sich ziehen. Parallel dazu müssten sich die Defizitländer um eine sehr moderate Lohn- und Preispolitik bemühen. All dies werde ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Überschussländern verbessern und zu einem Abbau ihrer Leistungsbilanzdefizite beitragen, während in Deutschland das Gegenteil zu erwarten sei.
Deutschland dürfte mittelfristig einen investitionsgetriebenen Aufschwung durchleben, weil wieder mehr Sparkapital zu Hause investiert werde, prognostiziert das ifo Institut. Insbesondere der Immobilienbereich dürfte davon profitieren. Dadurch werde das Wachstum gestärkt, während sich der Außenhandelsüberschuss vermindere. Die Krise habe quasi einen Kippschalter der Kapitalmärkte umgelegt, der die Wachstumskräfte, die sich unter dem Euro in die Länder der südwestlichen Peripherie Europas verlagert hatten, wieder in Deutschland erstarken lässt.
(ifo Institut / ml)