Politisch und ethisch wird in Deutschland eine ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen längst als ungerecht und überholt empfunden. Auch in der Bevölkerung ist die Mehrheit für gleiche Bezahlung – theoretisch. Denn obwohl bei einer direkten Frage nach der Gerechtigkeit ungleicher Löhne für Männer und Frauen die weitaus meisten Bundesbürger Lohnunterschiede für ungerecht halten, dreht sich das Bild, sobald es um konkrete Beispiele geht. Das Verblüffende: Dann halten sogar Frauen niedrigere Löhne für weibliche Beschäftigte für gerecht. Nicht zu glauben?
Wissenschaftler der Universitäten Bielefeld und Konstanz und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin untersuchten das Gerechtigkeitsempfinden für geschlechterspezifisch unterschiedliche Löhne in einer Studie, die sich auf zwei Umfragen mit insgesamt knapp 2700 Probanden und das Sozio-oekonomisches Panel des DIW mit 10.000 Probanden stützt. Die Wissenschaftler fragten sowohl nach dem allgemeinen, theoretischen Gerechtigkeitsempfinden, als auch nach den Vorstellungen der Probanden, welche Löhne für konkrete Berufe und Lebenssituationen gerecht wären.
Dabei ergab sich, dass sowohl Männer als auch Frauen unterschiedliche Löhne für Männer und Frauen bei sonst gleichen Rahmenbedingungen für gerecht halten. Und das sowohl für das eigene als auch für das jeweils andere Geschlecht.
Professor Dr. Stefan Liebig von der Universität Bielefeld: „In einer gerechten Welt, in der jeder das Einkommen erhalten würde, was er für sich als gerechtes ansieht, gäbe es demnach ebenfalls Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen, sie wären nur etwas geringer als sie aktuell existieren.“ Die direkte Frage nach der Ungerechtigkeit unterschiedlicher Löhne – so die Wissenschaftler – gibt nur die vordergründige Ansicht der Befragten wieder, in der Bewertung konkreter Fallbeispiele kommen aber offenbar fest verankerte Einstellungen zum Tragen. Die Studie zeige, dass Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in weiten Teilen der Bevölkerung noch immer als gerecht angesehen werden.
Die Wissenschaftler vermuten weiter, dass in der Bevölkerung verankerte Vorstellungen über die Rolle des Mannes als Familienversorger zu dieser Haltung beitragen. Außerdem bilden sich Vorstellungen über gerechte Einkommen vor allem über Vergleiche mit anderen. Dabei bestehe die grundsätzliche Tendenz, sich mit Personen zu vergleichen, die ähnliche Merkmale aufweisen wie man selbst. Dementsprechend vergleichen sich laut Studie Frauen zunächst mit anderen Frauen.
Indirekt bestätigen das die Antworten der Frauen aus Haushalten, in denen beide Partner erwerbstätig sind. Diese haben deutlich höhere Ansprüche an ihr Einkommen als alleine lebende Frauen oder alleinverdienende Frauen. Ein Grund für diesen Unterschied besteht in den Vergleichsmöglichkeiten, die sich Frauen in Zweiverdienerhaushalten eröffnen. Sie können sich mit ihren – in der Regel besser bezahlten – Männern direkt vergleichen. Dies gilt vor allem, wenn beide im gleichen Beruf tätig sind oder über eine ähnliche Ausbildung verfügen.
Die Studienergebnisse erklären auch, warum trotz gesetzlich verankerten Diskriminierungsverbots weiterhin Unterschiede im Einkommen zwischen Männern und Frauen existieren. Es sind demnach nicht nur die Männer, die der Meinung sind, Frauen müssten am Arbeitsplatz weniger verdienen. Auch die Frauen selbst haben deutlich niedrigere Erwartungen an ihr Einkommen und formulieren deshalb bei Gehaltsverhandlungen geringere Ansprüche.
Die Studie widerlegt ganz nebenbei die bisher oft von linken Politikern und Gewerkschaften geäußerten Vorwürfe, die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen seien in erster Linie den Unternehmen anzulasten.
Eine ausführliche Vorstellung der Studie ist in der DIW-Publikation Wochenbericht Heft 27-28 erschienen. Diese steht als kostenloser Download zur Verfügung.