Seit 2007 konnten Berufstätige ihr Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung nur noch dann steuerlich absetzen, wenn sie den überwiegenden Teil ihrer Arbeit in diesem Zimmer erledigen mussten. Steuerzahler, die auf ein Arbeitszimmer zwar angewiesen waren, aber den größten Teil ihrer Arbeitszeit woanders verbrachten, blieben außen vor. Das widerspricht dem grundgesetzlich verankerten Gleichheitssatz, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht (BverfG) in seinem Urteil vom 6. Juli 2010 (2 BvL 13/09).
Bereits mit dem Jahressteuergesetz 1996 wurde in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für ausschließlich betrieblich oder beruflich genutzte häusliche Arbeitszimmer als Betriebsausgaben oder Werbungskosten eingeschränkt. Eine Ausnahme vom grundsätzlich geregelten Verbot des Abzugs solcher Aufwendungen galt danach dann, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeiten betrug oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Eine unbeschränkte Abzugsmöglichkeit war darüber hinaus nur noch zugelassen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildete. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 7. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 297) die Verfassungsmäßigkeit dieser Einschränkung bejaht.
Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 wurde die Abzugsmöglichkeit weiter eingeschränkt. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG erlaubt den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nur noch, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
Dagegen klagte ein Hauptschullehrer, der sein Arbeitszimmer täglich für zwei Stunden zur Vor- und Nachbereitung seines Unterrichts nutzte. Ein dafür nutzbarer Arbeitsplatz in der Schule war vom Schulträger abgelehnt worden. Das Finanzamt ließ die vom Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 geltend gemachten Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer dennoch unberücksichtigt. Die Klage landete schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat nun mit einer Mehrheit von 5:3 Stimmen entschieden, dass die Neuregelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, soweit die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann von der steuerlichen Berücksichtigung ausgeschlossen sind, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, eine rückwirkende Neufasung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG auszuarbeiten, die grundgesetzkonform ist. Bis dahin sind laufende Verfahren zu diesem Thema auszusetzen.
Wie die Verfassungsrichter ausführen, verlange der allgemeine Gleichheitssatz vom Einkommensteuergesetzgeber „eine an der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtete hinreichend folgerichtige Ausgestaltung seiner Belastungsentscheidungen.“ Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemesse sich unter anderem nach dem objektiven Nettoprinzip. Danach sind betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten von der Bemessungsgrundlage abziehbar. Benachteiligende Ausnahmen von dieser Belastungsgrundentscheidung des Einkommensteuergesetzgebers bedürfen laut Verfassungsgericht eines besonderen sachlichen Grundes, um den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu genügen.
Daran fehlt es hier aber. Die im Gesetzgebungsverfahren angeführten fiskalischen Gründe sind nach Meinung der Richter nicht geeignet, die Neuregelung vor dem allgemeinen Gleichheitssatz zu rechtfertigen. Das Ziel der Einnahmenvermehrung stelle für sich genommen keinen hinreichenden sachlichen Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Ausgestaltung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen dar. Denn dem Ziel der Einnahmenvermehrung diene schließlich jede, auch eine willkürliche steuerliche Mehrbelastung.
Darüber hinaus verfehle die Neuregelung das Gebot einer hinreichend realitätsgerechten Typisierung, soweit Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer auch dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Denn der Mangel eines alternativen Arbeitsplatzes, der sich durch die Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitgebers ohne weiteres nachweisen lässt, liefere eine leicht nachprüfbare Tatsachenbasis für die Feststellung der tatsächlich betrieblichen oder beruflichen Nutzung und damit die Möglichkeit einer typisierenden Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre.
Dagegen sei die Ermittlung und Bestimmung der nach der Neuregelung vom Abzugsverbot ausgenommenen Kosten eines Arbeitszimmers, das den „qualitativen“ „Mittelpunkt“ der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit bildet, offenkundig aufwendig und streitanfällig. Gemessen an den Zielen des Gesetzes – Vereinfachung, Streitvermeidung und Gleichmäßigkeit der Besteuerung – werde das Abzugsverbot, soweit es die Fallgruppe „kein anderes Arbeitszimmer“ betrifft, den Anforderungen einer realitätsgerechten Typisierung daher nicht gerecht.
Soweit die gute Nachricht für die betroffenen Steuerzahler. Noch aber ist es zu früh für ein großes Aufatmen, denn das Bundesverfassungsgericht führt in ihrer Urteilsbegründung weiter aus, dass „die Ausdehnung des Abzugsverbotes nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, soweit davon nunmehr auch Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer erfasst sind, das zu mehr als 50 % der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit ausschließlich betrieblich oder beruflich genutzt wird.“ Der Umfang der Nutzung des Arbeitszimmers sei allenfalls ein schwaches Indiz für dessen Notwendigkeit, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem Arbeitgeber ein weiterer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird. Es fehle zudem an leicht nachprüfbaren objektiven Anhaltspunkten für die Kontrolle der Angaben des Steuerpflichtigen zum Umfang der zeitlichen Nutzung des Arbeitszimmers.
In welchem Umfang und ob tatsächlich mit Steuerrückzahlungen zu rechnen ist, hängt deshalb noch von der zukünftigen Beweispraxis ab. Vor allem aber wird abzuwarten sein, wie eine Neufassung der betreffenden Bestimmungen aussehen wird, denn klar ist, dass der Staat nur ungern auf die bisherigen Mehreinnahmen aus der alten Regelung verzichten wird. Immerhin dürften nach Expertenschätzungen dennoch einige Hunderttausend Steuerzahler von diesem Urteil profitieren.