Was motiviert Studierende und Hochschulabsolventen zur Existenzgründung? Wird die Entscheidung, sich selbständig zu machen oder in ein internationales Start-up-Unternehmen einzutreten, auch von kulturell bedingten Wertvorstellungen beeinflusst? Mit dieser Frage befasst sich eine neue vergleichende Studie von Prof. Dr. Ricarda B. Bouncken, Lehrstuhlinhaberin für Strategisches Management und Organisation an der Universität Bayreuth. Das Ergebnis: Wer die Motive junger Existenzgründer verstehen will, muss ihre Kultur berücksichtigen. Für die Studie wurden rund 630 Studierende befragt, die den Abschluss Master of Business Administration (MBA) anstreben.
Diese Personengruppe, so die Wissenschaftlerin, verdient in mehrfacher Hinsicht besondere Aufmerksamkeit: „MBA-Studierende stellen ein hohes Potenzial für Existenzgründungen dar. Und sie sind eine sehr attraktive Zielgruppe für junge internationalisierende Unternehmen, die neue Mitarbeiter suchen.“ Die Befragung erstreckte sich auf vier Länder mit deutlichen kulturellen und religiösen Unterschieden: Deutschland, Polen, Syrien und die USA. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in der ZfKE – Zeitschrift für KMU und Entrepreneurship veröffentlicht.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie
Freiheit und Unabhängigkeit: Die länderübergreifende Studie zeigt, dass individualistische Lebenseinstellungen in den USA und in Polen besonders tief verwurzelt sind. Freiheit und persönliche Unabhängigkeit genießen höchste Anerkennung. Wer sich in diesen Ländern zur Existenzgründung entschließt, teilt den ausgeprägten Individualismus, den er in seinem kulturellen Umfeld erlebt. Allerdings verstärkt in diesen Ländern ein sehr starker, überdurchschnittlicher Individualismus den Gründerwillen des Einzelnen nicht zusätzlich.
Ganz anders sieht es aus, wenn Studierende in einer Kultur aufgewachsen sind, in der neben der Freiheit des Einzelnen auch Gruppeninteressen und kollektive Werte eine wichtige Rolle spielen. Dies ist – so die Studie – im Vergleich zu den USA, Polen und Syrien vor allem in Deutschland der Fall. Hier gibt es starke Indizien dafür, dass junge Leute umso stärker zur Unternehmensgründung geneigt sind, je mehr sie nach Freiheit und Unabhängigkeit streben. Persönlicher Individualismus verstärkt offenbar den Wunsch, sich durch berufliche Selbständigkeit von einem gesellschaftlichen Umfeld abzusetzen, das eine vergleichsweise starke Rücksichtnahme auf Gruppeninteressen erwartet.
Macht- und Statusunterschiede: Der Gründerwille wird darüber hinaus von intellektuellen und emotionalen Faktoren beeinflusst, die in der Wissenschaft als Machtdistanz umschrieben werden. Damit wird nicht die Kritik an Machtstrukturen bezeichnet, sondern vielmehr eine positive Einstellung zu sozialen und ökonomischen Statusunterschieden in der Gesellschaft. Je stärker junge Leute geneigt sind, derartige Unterschiede als sinnvoll und wichtig anzuerkennen, desto reizvoller kann für sie der Gedanke sein, von Statusunterschieden profitieren zu können. In diesem Fall erscheint ihnen der Weg in die Selbständigkeit, aber auch eine Tätigkeit in international aufgestellten Start-ups hochattraktiv.
Dieser Zusammenhang ist laut Studie vor allem in Ländern wie den USA oder Polen ausgeprägt, wo Freiheit und Autonomie hoch im Kurs stehen. MBA-Studierende sind hier besonders zuversichtlich, aus eigener Kraft die Hindernisse überwinden zu können, die dem Erfolg ihres Unternehmens möglicherweise entgegen stehen.
Selbstüberforderung und Selbstverwirklichung: In den USA lassen sich junge Menschen nur selten von der Angst entmutigen, eine Existenzgründung könnte sie überfordern. Anders in Deutschland, Syrien und Polen: In diesen Ländern kommt des Öfteren vor, dass diese Befürchtung den Gründerwillen erlahmen lässt. Der Zusammenhang mit der Anerkennung sozialer und ökonomischer Statusunterschiede ist allerdings ambivalent: Ein ausgeprägtes Bewusstsein von Machtstrukturen kann den Gründerwillen nicht nur beflügeln, sondern auch lähmen. Letzteres trifft vor allem dann zu, wenn das gesellschaftliche Umfeld Freiheit und Unabhängigkeit nicht sehr hochschätzt.
Ein weiterer Faktor, den die Studie ausdrücklich einbezieht, ist das Streben nach Selbstverwirklichung. Vor allem in den USA, weniger stark in Deutschland werden junge Existenzgründer dadurch angetrieben – was wiederum damit zusammenhängt, dass Individualismus und Machtdistanz in beiden Ländern unterschiedlich ausgeprägt sind.
Die Wissenschaftlerin und Autorin der Studie, Prof. Dr. Ricarda B. Bouncken fordert angesichts der aufschlussreichen Ergebnisse ihrer Studie, dass sich die internationale Forschung zum Gründerwesen stärker als bisher mit kulturell bedingten Wertvorstellungen auseinandersetzen muss, da sich daraus wichtige praktische Konsequenzen ergeben: „Besonders hilfreich sind solche Untersuchungen auf dem Gebiet der Entrepreneurship Education. Es geht dabei um Unterrichtsprogramme, die darauf abzielen, Hochschulabsolventen an die Gründung eigener Firmen heranzuführen und sie auf dem Weg in die Selbständigkeit zu begleiten.“ Ihr Appell an Politik und Gesellschaft: „Je besser wir verstehen, was den Gründerwillen hemmt oder antreibt, desto besser wird es uns gelingen, junge Leute für eine Unternehmensgründung zu motivieren.“