Bei einer Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke drohe ein massiver wirtschaftlicher Konflikt zwischen Öko- und Atomstrom, behauptet eine neue Studie der Universität Flensburg, die im Auftrag des Mini-Blockkraftwerkbauers LichtBlick entstand. Prof. Dr. Olav Hohmeyer, Lehrstuhlinhaber Energie- und Ressourcenwirtschaft an der Universität Flensburg, Mitglied im Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) und Autor der Studie, geht davon aus, dass bei einer Laufzeitverlängerung die AKW-Betreiber durch immer häufigere Abschaltungen und damit Produktionsauffälle geradezu dazu gezwungen werden, die Erneuerbaren Energien scharf zu bekämpfen.
Sein Szenario: Bei einer Verlängerung der Laufzeit um 28 Jahre werde es ab 2020 bis zur Stilllegung des letzten Meilers zu mindestens 15.800 kurzfristigen AKW-Abschaltungen kommen, da beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien im bisherigen Tempo Wind und Sonne immer häufiger die volle Stromnachfrage abdecken werden.
Die Atomkonzerne müssten deshalb durch diese Abschaltungen auf Gewinne in Höhe von 21 bis 80 Milliarden Euro verzichten, so Hohmeyer weiter. Es sei deshalb wahrscheinlich, dass die großen Energiekonzerne versuchen werden, die Milliardenverluste zu verhindern. Dies sei aber nur möglich, wenn der gesetzlich garantierte Vorrang des Ökostroms bei der Stromeinspeisung abgeschafft und der Ausbau der erneuerbaren Energien begrenzt wird. Die für den Klimaschutz so wichtige ökologische Energiewende würde sich dann jedoch um Jahrzehnte verzögern, glaubt der Flensburger Wissenschaftler, da Investitionen in alternative Energien wie zum Beispiel Windanlagen auf See weniger attraktiv würden.
Er warnt, eine vergleichbare Debatte sei in Großbritannien bereits zu beobachten. Atomkonzerne hätten dort bereits die Begrenzung der erneuerbaren Energien auf 20 bis 33 % der Stromproduktion gefordert, damit sich ihre Kernkraftwerke noch rechnen. Dieses Niveau werde Deutschland bereits in wenigen Jahren erreichen.
Hohmeyer weiter: Der Grund für die kurzfristigen Abschaltungen sei die unflexible AKW-Technik. Je nach Anlagentyp könne ein Meiler seine Leistung nur auf 50 oder 60 % drosseln. Wird weniger Atomstrom benötigt, müsse er ganz vom Netz. Nach einer Komplettabschaltung benötige ein AKW zudem 50 Stunden, um wieder anzufahren. Stehe in dieser Zeit aufgrund veränderter Wetterverhältnisse weniger Wind- und Sonnenstrom zur Verfügung, könnten die Meiler nicht angemessen reagieren, warnt der Energieexperte. „Atomkraftwerke sind nicht flexibel genug, um die je nach Wetterlage schwankende Erzeugung von Wind und Sonne sicher auszugleichen.“
Dabei sei weder eine Laufzeitverlängerung noch ein Neubau von Kohlekraftwerken erforderlich, um die künftige Stromversorgung zu sichern, glaubt der Flensburger. Schon die bestehenden konventionellen Kraftwerke bremsten den Ausbau der erneuerbaren Energien. „Angesichts der großen Ausbaudynamik könnten wir Deutschland schon 2030 komplett mit regenerativem Strom versorgen“, behauptet der Wissenschaftler und bedauert: Da die Atomkraftwerke nach derzeitiger Gesetzeslage noch bis in die 2020er und die jüngsten Kohlekraftwerke noch bis in die 2040er Jahre laufen, sei eine vollständige regenerative Versorgung erst für 2050 zu erwarten.
Eine Alternative zu Atom und Kohle sei die dezentrale Stromproduktion in gasbetriebenen Mini-Blockheizkraftwerken, so die Studie weiter. Ein intelligentes Netz aus Zehntausenden solcher Kleinerzeuger – die zugleich Mehrfamilienhäuser, Schulen oder Unternehmen mit Wärme versorgen – könne sehr flexibel und schnell auf die schwankende Produktion von Wind- und Sonnenstrom reagieren.
Nach den Ergebnissen der Studie dürften 2050 rund 17 Milliarden Kilowattstunden aus flexibler Biogas-Verstromung gewonnen werden. „Statt auf die riskante und unflexible Kernenergie zu setzen, muss die Bundesregierung ein Förderprogramm für klugen, sauberen und flexibel erzeugbaren Strom auflegen. So schaffen wir den Weg in das regenerative Zeitalter“, glaubt Gero Lücking, Vorstand bei LichtBlick., der seine sogenannten ZuhauseKraftwerke als ideale Kandidaten für derartige intelligente Netze aus Mini-Blockheizkraftwerken betrachtet.
Die Studie 2050. Die Zukunft der Energie der Universität Flensburg steht als kostenloser Download online zur Verfügung.
(Lichtblick / ml)