Die deutsche Wirtschaft habe die Krise überraschend gut überwunden, lobt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) in seiner aktuellen Prognose. Die DIW-Ökonomen gehen deshalb davon aus, dass das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte andauern, wenn auch im Vergleich zum ersten Halbjahr etwas abkühlen wird. Für das Gesamtjahr werde Deutschland auf ein massives Jahreswachstum von 3,4 % kommen. Für 2011 erwarten die Experten ein Wachstum von 2 %. Das Wachstum werde 2010 vor allem von den Exporten getragen. Deren rasantes Wachstum im ersten Halbjahr werde aber nicht anhalten, befürchten die Berliner Ökonomen.
Das kräftige Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr senke zwar das Staatsdefizit, so Ferdinand Fichtner, Leiter der neuen Querschnittsgruppe Konjunkturpolitik am DIW. Er warnt aber: „Trotzdem sollte die Bundesregierung ihren Sparkurs fortsetzen und nicht mit Steuergeschenken um sich werfen.“
Christian Dreger, Leiter der Konjunkturabteilung des DIW macht in erster Linie die Exporte für das starke Wachstum im laufenden Jahr verantwortlich: „Besonders in Schwellenländern wie China hat Deutschland Marktanteile hinzugewonnen“. Vor allem die größeren Betriebe konnten hiervon profitieren und dadurch die Kurzarbeit weiter abbauen. Dreger gibt aber auch zu bedenken, dass viele Exporte, die zu dem Sommerhoch beigetragen haben, lediglich während der Krise aufgeschobene Investitionen abdeckten. Dies werde sich angesichts der aktuellen Schwäche großer Volkswirtschaften, z. B. der USA und China, nicht fortsetzen. Für das Gesamtjahr 2010 rechnen die DIW-Experten mit einem Exportwachstum von gut 15 %, für 2011 mit knapp 8 %. Damit werde die Produktion in der Exportwirtschaft immerhin bald ein ähnliches Niveau wie vor der Krise erreichen, so Dreger.
Die privaten Haushalte haben laut DIW im zweiten Quartal 2010 erstmals seit einem Jahr wieder mehr konsumiert – rund 0,6 % gegenüber dem ersten Quartal. Auch in den nächsten Quartalen werde kräftig konsumiert. Die Konjunkturexperten des DIW Berlin führen dies auf die stabilen Preise und auf die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zurück. „Im Schnitt werden im nächsten Jahr rund 40,4 Millionen Menschen arbeiten – so viele wie noch nie im vereinigten Deutschland“, so DIW-Präsident Klaus Zimmermann bei der Vorstellung der Konjunkturprognose des Instituts. „Das sorgt für gute Stimmung bei den Konsumenten.“
Wenn sich der Welthandel – wie prognostiziert – abkühlen wird, hängt das deutsche Wachstum im nächsten Jahr stärker vom privaten Konsum ab. „Die US-Wirtschaft entwickelt sich schon jetzt zögerlich“, warnt deshalb Fichtner. Vor allem der Konsum dort bleibe schwach, da die Bevölkerung weiter mit hoher Verschuldung und Arbeitslosigkeit zu kämpfen habe. Für China rechnen die DIW-Ökonomen dagegen weiter mit hohen Zuwachsraten – davon profitieren auch die deutschen Exporte. Ein Risikofaktor seien jedoch die spekulativen Überbewertungen am Immobilienmarkt. „Platzt die Blase, droht ein konjunktureller Rückschlag, der aufgrund der engen Handelsbeziehungen auch nach Deutschland überschwappen könnte“, so Fichtner.
Die Euro-Staaten werden weiter ungleich wachsen, glauben die DIW-Experten. Die Spannweite im zweiten Quartal lag zwischen 2,2 % in Deutschland und -1,8 % in Griechenland. Vor allem in den südlichen Ländern und Irland werden die Sparanstrengungen voraussichtlich noch länger das Wachstum belasten. „Die Euro-Krise ist keineswegs ausgestanden. Die Kapitalmärkte signalisieren weiter eine hohe Unsicherheit, die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen einiger hoch verschuldeter Euro-Länder klettern von Rekordhoch zu Rekordhoch“, so DIW-Präsident Zimmermann. In den übrigen Staaten dürfte sich die Lage 2011 aber weiter erholen.
Zimmermann warnt die Politik dennoch ausdrücklich: „Trotz der überraschenden Steuermehreinnahmen sehen wir für Steuersenkungen und höhere Sozialausgaben weder Anlass noch Spielraum“. Maastricht-Vertrag und Schuldenbremse würden die Regierung dazu zwingen, die zusätzlichen Einnahmen für eine schnellere Haushaltssanierung zu nutzen. „Da wir davon ausgehen müssen, dass die Exporte in der nächsten Zeit deutlich schwächer ausfallen, muss hier in Deutschland die Binnennachfrage stabil bleiben.“ Entscheidend dafür sei ein stabiler Arbeitsmarkt, so Zimmermann. „Die Regierung muss sich auf den demografischen Wandel einstellen und frühzeitig den Fachkräftemangel bekämpfen. Das wird die Arbeitslosigkeit gering halten und damit die Haushalte zum Konsumieren animieren.“
Umfangreiche Erläuterungen zur Wachstumsprognose des Instituts und weiteres Zahlenmaterial finden sich in der Ausgabe 39/2010 der Publikationsreihe DIW Wochenbericht. Die Ausgabe steht als kostenloser Download online zur Verfügung.
(DIW / ml)