Mit insgesamt 843.000 Beschäftigten sind die Anbieter von Informationstechnik, Telekommunikation und Internetdiensten, als Gruppe betrachtet, hinter dem Maschinenbau zweitgrößter Arbeitgeber in der deutschen Industrie – noch vor der Automobil- und der Elektroindustrie. Der Anstieg allein gegenüber dem letzten Jahr beträgt 8000 Stellen. Wegen des praktisch leergefegten Stellenmarkts für Fachkräfte ist im gleichen Zeitraum aber auch die Zahl der unbesetzten Stellen für IT-Spezialisten um 8000 Stellen bzw. 40 % kräftig gestiegen. Diese Zahlen nannte gestern in Berlin der Branchenverband BITKOM.
Aktuell gibt es rund 28.000 Stellen in der deutschen IT-Branche, die wegen des Fachkräftemangels nicht besetzt werden können. Davon entfallen 11.200 freie Stellen auf die Kernbranchen Informationstechnik und Telekommunikation (ITK), 16.800 auf andere Wirtschaftszweige. Diesen Daten liegt eine repräsentative Umfrage unter 1500 Unternehmen zugrunde, die im Auftrag des Branchenverbands durchgeführt worden war.
„Der Mangel an IT-Spezialisten ist ein strukturelles Problem, das von der Wirtschaftskrise nur vorübergehend gemildert wurde“, warnt BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer. Seine Befürchtung: „Mit der konjunkturellen Erholung kommt das Fachkräfteproblem mit voller Wucht zurück.“ Vor allem Softwarehäuser, IT-Dienstleister und Internetfirmen stellen deshalb derzeit neue Mitarbeiter ein. Dringend gesucht sind laut BITKOM Software-Entwickler und Mitarbeiter für den internen IT-Support.
Wie die Umfrage zeigt, bleibt der Mangel an qualifiziertem Personal ein großes Problem. 47 % der befragten IT-Unternehmen sehen einen Mangel an IT-Experten. Ein wesentlicher Grund für diese strukturelle Lücke ist neben den Schwächen des deutschen Bildungswesens der steigende Bedarf an Hochqualifizierten. Zwei Drittel der Firmen geben an, dass sie in Zukunft mehr IT-Experten mit Hochschulabschluss benötigen. Diesen Bedarf können die Hochschulen schon seit Jahren nicht mehr decken. Gleichzeitig werden viele Bewerber um Ausbildungsplätze in den IT-Berufen den Anforderungen nicht mehr gerecht. Laut BITKOM konnten 29 % der Unternehmen freie Stellen für Auszubildende in den IT-Berufen nicht besetzen, weil geeignete Bewerber fehlten.
Angesichts dieser Entwicklung fordert Scheer, die unerträgliche Debatte um einen Zuwanderungsstopp müsse umgehend beendet werden. „Stattdessen brauchen wir eine internationale Kampagne im Wettbewerb um die klügsten Köpfe in der Welt. Deutschland sollte sich als weltoffenes Land präsentieren, in dem es sich lohnt, zu leben und zu arbeiten.“
Drei-Punkte-Plan für eine qualifizierte Zuwanderung
- Verbesserung der bestehenden Gesetzeslage und Abbau bürokratischer Hemmnisse: Bei Berufsgruppen wie IT-Experten und Ingenieuren, in denen der Expertenengpass besonders groß ist, sollte auf die Vorrangprüfung verzichtet werden. Dabei prüft die zuständige Arbeitsagentur, ob der entsprechende Job nicht von einem arbeitslosen Deutschen oder EU-Bürger gemacht werden könnte. Das Mindesteinkommen für den Erhalt einer Niederlassungserlaubnis sollte von 66.000 Euro im Jahr auf rund 40.000 Euro gesenkt werden. Das entspricht etwa dem Einstiegsgehalt von Informatikern und Ingenieuren.
- Start einer internationalen Marketingkampagne Study and Work in Germany: Die bestehenden Möglichkeiten der Zuwanderung müssen im Ausland aktiv beworben werden. Dazu sollten die wichtigsten Informationen auf einer mehrsprachigen Website aufbereitet werden. Botschaften, Auslandshandelskammern und Wirtschaftsverbände sowie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) sollten zu diesem Zweck eng zusammenarbeiten. Dies muss durch ein aktives Auslandsmarketing für den Lebensstandort Deutschland ergänzt werden.
- Reform des Zuwanderungsgesetzes: Eine unabhängige Kommission sollte ein Konzept ausarbeiten, wie die Zuwanderung auf Basis eines Punktesystems aktiv gesteuert werden kann. Danach kann eine bestimmte Zahl von Hochqualifizierten nach Deutschland einwandern, wenn sie Kriterien wie Qualifikation, Alter oder Sprachkenntnisse erfüllen und ein entsprechender Arbeitskräftebedarf besteht. Die Kriterien und die Zahl der Zuwanderer könnten von Politik und Wirtschaft gemeinsam je nach Bedarf und konjunktureller Lage festgelegt werden.
(Zitat aus der Pressemitteilung des BITKOM)
Scheer wendet sich gegen Versuche, Zuwanderung und Bildung gegeneinander auszuspielen: „Natürlich muss alles getan werden, um die hier lebenden Menschen zu qualifizieren. Das reicht aber weder heute noch in Zukunft aus, um den Bedarf an Spezialisten zu decken.“