6,49 Millionen Deutsche über 18 Jahre waren am 1. Oktober 2010 überschuldet und konnten nicht alle ihre Rechnungen bezahlen. So steht es im brandneuen Schuldner-Atlas der Creditreform. Beunruhigender als die Zahl selbst ist ein negativer Trend hinter dieser Zahl: Demnach waren 2010 rund 300.000 Deutsche mehr überschuldet als noch 2009. Die Schuldnerquote – also das Verhältnis von überschuldeten Personen zur Bevölkerungszahl über 18 Jahre – beträgt damit 9,5 %. Unerwartet kommt diese Entwicklung allerdings nicht. Die Schuldnerexperten bei Creditreform befürchteten angesichts des historischen Wirtschaftseinbruchs im vergangenen Jahr sogar eine erheblich stärkere Zunahme der Überschuldung.
Eine deutliche Verschlechterung der Überschuldungssituation in Deutschland wurde aber dank Kurzarbeitergeld und der damit weiterhin stabilen Einkommen zunächst verhindert. Die Experten gehen dennoch davon aus, dass die im Vergleich zum Vorjahr erhöhte Schuldnerquote durchaus ein Ausdruck der zeitweisen Verschlechterung am Arbeitsmarkt infolge der Rezession ist. Die Erfahrung zeige, dass der Verlust des Arbeitsplatzes Hauptauslöser für Überschuldung ist. Zusätzlich engten gestiegene finanzielle Belastungen, z. B. für Gesundheit und Altersvorsorge, Miete und Nebenkosten, den finanziellen Spielraum der Verbraucher ein, um bestehende Kreditverpflichtungen erfüllen zu können, warnen die Experten. Dessen ungeachtet seien viele Verbraucher – angeregt durch die vermehrten positiven Konjunktursignale in den letzten Monaten sowie die stabilen Beschäftigungserwartungen – bereits wieder neue Kreditverpflichtungen eingegangen. Das gelte insbesondere für jüngere Erwachsene.
Stichwort: Überschuldung
Überschuldung liegt vor, wenn ein Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und ihm weder Vermögen noch andere Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Zitat Creditreform
Die Überschuldungsquote ist regional allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt: Eine Zunahme der privaten Überschuldung im laufenden Jahr ist zwar in allen Bundesländern zu verzeichnen, überdurchschnittlich stark fiel der Anstieg jedoch in Sachsen-Anhalt (plus 0,53 Prozentpunkte gegenüber 2009) sowie im Saarland und in Berlin (jeweils plus 0,51 Prozentpunkte) aus. Um einen vergleichsweise geringen Anteil ist die Schuldnerquote in Bremen gestiegen (plus 0,21 Prozentpunkte). Die Hansestadt (14,13 %) weist aber weiterhin die höchste Quote aller deutschen Länder auf, gefolgt von Berlin (12,67 %) und Sachsen-Anhalt (11,58 %). Am niedrigsten ist Schuldnerquote derzeit in Bayern (7,06 %), Baden-Württemberg (7,46 %) und Sachsen (8,37 %).
Auffallend ist ein überdurchschnittlicher Anstieg der Überschuldung bei Frauen. Zwar übersteigt der überschuldete Anteil bei den Männern noch immer jenen bei den Frauen, aber der Abstand schrumpft. Während der Anteil der Männer an den überschuldeten Privatpersonen seit 2004 von 68,0 auf 61,3 % zurückging (minus 6,7 Prozentpunkte), stieg der Anteil der Frauen um 6,7 Prozentpunkte auf 38,7 %. Demnach sind 3,98 Millionen aller überschuldeten Personen männlichen (minus 0,47 Millionen gegenüber 2004) und 2,51 Millionen weiblichen Geschlechts (plus 0,42 Millionen gegenüber 2004). Im Vergleich zum Jahr 2009 erhöhte sich die Zahl der überschuldeten Frauen um 11,4 %, während die Zahl der betroffenen Männer nahezu stagnierte (plus 0,9 %).
Auch in Bezug auf das Alter des Schuldners gibt es unterschiedliche Trends: So liegt die Schuldnerquote bei Bürgern in der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre mit 13,29 % zwar weiterhin am höchsten, allerdings sind relativ gesehen weniger Personen betroffen als im Jahr 2004 (15,18 %). Anders dagegen die Entwicklung bei jungen Erwachsenen: Von den 20 bis 29-jährigen Einwohnern Deutschlands gelten mittlerweile 10,75 % als überschuldet. Das sind fast 400.000 Personen oder 3,20 Prozentpunkte mehr als 2004, als die Schuldnerquote in diesem Alterssegment noch bei unterdurchschnittlichen 7,55 % lag. Einen Anstieg der Schuldnerquote im Vergleich zu 2004 verzeichnen auch die Altersgruppe der unter 20-Jährigen (plus 1,12 Prozentpunkte) sowie ältere Personen über 70 Jahre (plus 0,22 Prozentpunkte). Der gegenüber dem Vorjahr festzustellende aktuelle Anstieg der Gesamtzahl der überschuldeten Personen in Deutschland wird aber bis auf die über 60-Jährigen von allen Altersgruppen verursacht.
3,61 der 6,49 Millionen überschuldeten Bundesbürger weisen zahlreiche gerichtliche Überschuldungsmerkmale wie eine eidesstattliche Versicherung oder eine Privatinsolvenz auf. Die Zahl der Betroffenen hat sich gegenüber 2006 (3,40 Millionen) um mehr als sechs Prozent erhöht. Zurückgegangen ist hingegen die Zahl der Menschen, deren Überschuldungssituation noch nicht aussichtslos ist, die aber bereits nachhaltige Zahlungsstörungen aufweisen. Gegenüber 2006 sank die Zahl der Betroffenen von 3,79 auf 2,88 Millionen (minus 24,0 %).
Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die Verbraucherüberschuldung ist in Deutschland deutlich geringer als in den angelsächsischen Ländern. So sind in Großbritannien 13,8 % der privaten Konsumenten überschuldet, in den USA sogar 17,4 %. Ein Grund hierfür: Diese Volkswirtschaften waren und sind stärker von der Finanz- und Immobilienkrise betroffen, und die Arbeitslosigkeit ist im Verlauf der Rezession deutlich stärker und nachhaltiger gestiegen als in Deutschland.
In den kommenden zwei Jahren sei aber leider nicht mit einem Rückgang der Verbraucherüberschuldung zu rechnen, warnen die Creditreform-Experten. Jeder zehnte Deutsche (9,8 %) fühlt sich bereits jetzt durch seine finanziellen Verbindlichkeiten überfordert, ein weiteres Drittel (32,0 %) hat wenigstens manchmal Schuldenstress. Die von der Bundesregierung geplanten Sparmaßnahmen sowie weitere Faktoren – z. B. zunehmende Wohnkosten und der Anstieg prekär Beschäftigter – drohen Auslöser für eine neuerliche Überschuldungsentwicklung zu sein.
Der SchuldnerAtlas 2010 steht als kostenloser Download online zur Verfügung.
(Creditreform / ml)