Im vergangenen Jahr erlebt die Biolebensmittel-Industrie einen leichten Schock, als die Umsatzzahlen zum ersten Mal in der Geschichte des Biobooms rückläufig waren. Durch die weltweite Rezession musste die erfolgsverwöhnte Branche Umsatzeinbußen von etwa 1 % auf 5,8 Milliarden Euro hinnehmen. Von vielen wurde dies als Zeichen einer generellen Trendwende interpretiert. Eine aktuelle Studie des Strategieberatungsunternehmens Booz & Company kommt nun aber zu dem Schluss, dass mit dem Konjunkturaufschwung der Erfolg der Bio-Food-Industrie zurückkehren wird.
Demnach zeichnet sich für 2010 ein moderates Wachstum ab. Von 2011 an werde es dann ein nachhaltiges Wachstum des Anteils von Biolebensmitteln am Gesamtumsatz von etwa 10 % pro Jahr ergeben, so die Studie. „In Österreich und der Schweiz liegt der Anteil von Bioprodukten am gesamten Lebensmittelumsatz mit etwa 5 % schon heute deutlich über dem deutschen“, macht Florian Beil, Mitglied der Geschäftsleitung bei Booz & Company den Deutschen Mut. Man sehe bei Booz & Company ein ähnliches Potential auch für den deutschen Markt. Dieser könne durchaus um vier bis fünf Milliarden Euro auf ein Gesamtmarktvolumen von 9 bis 10 Milliarden Euro im Jahr 2016 wachsen.
Allerdings sei es für die Akteure der Lebensmittelindustrie und des Einzelhandels unerlässlich, auf diese Veränderungen zu reagieren. Die Krise habe unübersehbar gezeigt, dass es für die Biolebensmittel-Industrie zwei Arten von Kunden gebe. Preissensible Verbraucher kaufen Bioprodukte vorwiegend von Discountern sowie im Lebensmitteleinzelhandel und schränkten ihren Konsum aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage 2009 stark ein – was diese durch drastische Preissenkungen von bis zu 7 % zu kompensieren versuchten. Andererseits waren weniger preisorientierte Kunden, die eher in Fachgeschäften einkaufen, auch 2009 bereit, deutlich höhere Preise für Bioprodukte zu bezahlen. Für sie sind die Überzeugung von der Nachhaltigkeit und Qualität sowie Beratung und Vertrauen die entscheidenden Faktoren. In Zukunft differenziere sich der Markt zunehmen nach diesem Grundmuster.
Einerseits nutzen Discounter und Lebensmitteleinzelhändler ihre Marktmacht, um sich Umsätze zu sichern, und verursachen so einen enormen Preisdruck. Dieser erschwert es Biofachgeschäften, konkurrenzfähig zu bleiben: 1997 erwirtschafteten sie den Großteil des Gesamtumsatzes, der mit Biolebensmitteln erzielt wurde, 2009 lagen sie mit einem Anteil von nur noch 22 % deutlich hinter dem konventionellen Lebensmitteleinzelhandel und den Discountern (56 %). Diese Umverteilung habe allerdings eine Konsolidierung zur Folge, so die Studie: Obwohl die Anzahl kleiner Biofachgeschäfte in den letzten Jahren stetig zurückging, stieg die Gesamtverkaufsfläche aufgrund verhältnismäßig vieler Neueröffnungen von großen Biofachgeschäften und -supermärkten stark an.
Andererseits kämpfen Discounter mit einem schwerwiegenden Imageproblem: Laut einer Umfrage von Utopia und Ketchum Pleon vertrauen 35,4 % der Konsumenten, die besonders auf Nachhaltigkeit achten, Discountern nicht und halten die Kombination der Werteversprechen bio und billig für schwer bis kaum vereinbar. Daher sollten sich Fachmärkte dem Preiskampf entziehen und sich verstärkt auf Kunden konzentrieren, die vor allem Wert auf Qualität legen und weniger preissensibel sind.
Das erwartete Marktwachstum im Biolebensmittel-Sektor bietet nach Meinung der Studienautoren auch für die Landwirtschaft Chancen zur Gewinnsteigerung. Denn die Nachfrage nach Biolebensmitteln wächst in Deutschland deutlich schneller als die Bioanbaufläche. Der Anteil der ökologischen Landwirtschaft an der bewirtschafteten Gesamtfläche liegt mit 5,6 % weit hinter Österreich, der Schweiz, aber auch Estland, Tschechien und Italien.
Deutschland ist deshalb einer der größten Importeure von Biolebensmitteln. Hier liegt ein enormes Wachstumspotential für Betriebe. Der Bio-Food-Experte rät den landwirtschaftlichen Betrieben deshalb: „Sie können mit ökologischem Anbau etwa 28 % mehr Gewinn pro Hektar erwirtschaften als mit konventioneller Erzeugung.“ Dabei gelte es allerdings, die Übergangszeit genau zu planen, denn erst zwei Jahre nach der Umstellung dürfen sie ihre Erzeugnisse als Ökoware auszeichnen, mit der sich höhere Absatzpreise erzielen lassen. Die Biobetriebe müssen sich außerdem rechtzeitig neue Vermarktungswege für ihre Produkte erschließen. Immerhin lassen sich in der Übergangszeit die Mehrausgaben der Landwirte mit staatliche Zuschüssen zum Teil kompensieren.
(Booz & company / ml)