Die großen Zeitschriftenverlage schreiben entgegen den Befürchtungen eines weiteren Abrutschens derzeit wieder schwarze Zahlen. Einige können sich sogar über bis zu zweistellige Gewinne vor Zinsen und Steuern (EBIT) freuen, meldet die internationale Strategieberatung Booz & Company. Die gezielten Kostensenkungen der vergangenen Jahre haben eine beachtliche Hebelwirkung entfaltet. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sei das Verlagsgeschäft durchaus gesund, behaupten die Experten des Beratungsunternehmens. Sie warnen aber auch, die Branche durchlaufe gerade einen tiefgreifenden Strukturwandel. Das habe ihre aktuelle Studie ergeben.
Wie die Studie weiter zeigt, ist der Anzeigenmarkt 2010 lediglich um knapp 2 % netto gewachsen. Zudem sind die Auflagen von Magazinen, die länger als fünf Jahre am Markt sind, im Durchschnitt um 4 % zurückgegangen. In den kommenden Jahren sind daher neben einem effizienten Kostenmanagement vor allem auch Investitionen ins Kerngeschäft unabdingbar – das Hauptgeschäft der Verlage liege nämlich noch lange im Printbereich, mahnen die Studienautoren.
Zudem beweise der Erfolg junger Titel, dass sich eine gezielte Innovationsstrategie bei Segmentauswahl und Formatgestaltung lohnt: Magazine, die weniger als fünf Jahre auf dem Markt sind, können laut Studie selbst bei Auflagen von über 200.000 Exemplaren mit Wachstumsraten von durchschnittlich 8,2 % aufwarten und liegen so mehr als 10 Prozentpunkte über dem Marktdurchschnitt.
Es gibt aber noch mehr Hoffnungszeichen: Neben dem Print-Kerngeschäft birgt auch der wachsende Markt für Tablet-PCs Wachstumspotenzial. Allein im nächsten Jahr bekommt der Topseller iPad von Apple Konkurrenz von mehr als 35 Geräten auf Android-Basis (Android ist ein freies Betriebssystem für mobile Geräte und Smartphones). Der Absatz dieser Endgerätegattung wird sich bis 2015 allein in Deutschland um den Faktor 10 bis 15 erhöhen.
Der aktuelle Aufwärtstrend in der Zeitschriftenbranche bedürfe allerdings einer differenzierten Betrachtung, warnen die Experten. So prognostiziert die Studie eine weitere Erosion der Auflagenzahlen und sieht den Strukturwandel trotz volkswirtschaftlichem Aufschwungszenario in vollem Gang. Macht das Anzeigenvolumen von 1,4 Milliarden Euro im Zeitschriftensektor 2010 noch 8,6 % des gesamten deutschen Werbebudgets (16,5 Milliarden Euro) aus, werden die Zeitschriften bis 2015 gegenüber TV und Online wohl noch weiter zurückfallen, glauben die Studienautoren. Die prognostizierten Einnahmen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro entsprächen nur noch 6,7 % des insgesamt über 19 Milliarden Euro schweren Werbeetats.
Sollte die Studie mit ihren Prognosen recht behalten, dann werden nur die Verlage als Gewinner aus der Umbruchphase hervorgehen, die erkannt haben, dass sich gerade im aktuellen Strukturwandel Innovationen und Investitionen ins Kerngeschäft rentieren und die diese Erkenntnis auch konsequent umsetzen. „Jede Innovationsstrategie beinhaltet immer auch ein unternehmerisches Risiko. Schließlich kann nicht jedes Konzept aufgehen und nur wenige Magazine entwickeln sich aus dem Stand zum Topseller“, warnt deshalb Gregor Vogelsang, Partner und Medienexperte von Booz & Company, nicht ohne ironisch hinzuzufügen: „Beim Innovationsprozess kann die Verlagsbranche noch einiges von der Konsumgüterindustrie lernen. Die lebt bei Produkteinführungen sehr gut mit einkalkulierten Flopraten von 70 %. In der Verlagsbranche ist bislang jeder Flop ein Drama.“
Gerade junge Titel konnten sich in den letzten Jahren in den Segmenten Wohnen & Garten, Frauenzeitschriften sowie Kinder & Jugend mit einer konsequenten Innovationsstrategie und hochwertigen Inhalten erfolgreich etablieren. Die neuen Magazinkonzepte kommen beim Leser an und bereiten letztlich auch das Feld für eine Expansion in die digitale Welt: So können sich über 40 % der Leser dieser Medien vorstellen, auch im Onlineshop der Zeitschrift einzukaufen. Bei den etablierten Titeln sind solche magazinspezifischen E-Commerce-Angebote nur für gut ein Viertel der Leserschaft (26 %) relevant. Auch das überdurchschnittliche jährliche Umsatzwachstum von 8,2 % belegt den Erfolg dieser Magazin-Avantgarde.
Während in den USA mit Daily von Newscorp und Project (Demo-Video) von Virgin bereits die ersten reinen iPad-Magazine als Applikationen in den Startlöchern stehen, steckt der deutsche Markt mit 700.000 Tablet-PCs noch in den Kinderschuhen. „Nach unserer Analyse werden bis 2015 in Deutschland 10 bis 15 Millionen Tablets genutzt. Bereits im nächsten Jahr wird das iPad Konkurrenz von 35 Geräten auf Androidbasis bekommen. Und auch Microsoft wird sich diesen Markt sicher nicht entgehen lassen“, betont Vogelsang, warnt aber vor Schnellschüssen. Denn aktuell wollen 80 % der Befragten keinesfalls auf eine gedruckte Ausgabe verzichten, selbst unter den befragten iPad-Nutzern wäre eine digitale Ausgabe nur für jeden Dritten ein adäquater Ersatz.
Über Zeitschriften mit hoher Qualität und Nutzwert lassen sich die Leser emotional binden und das Markenpotenzial der Magazine steigern. Das ist sowohl in kommerzieller Hinsicht als auch für eine erfolgreiche Positionierung in der digitalen Welt langfristig erfolgskritisch. Die Branche muss sich also nicht neu erfinden, sondern Professionalität im Kerngeschäft mit fundierten Konzepten für den digitalen Bereich verbinden. „Was die Leser brauchen, ist ein wirklicher Mehrwert durch ein erweitertes Anbot in der digitalen Welt. Die kostenlose Online-Ausgabe ist eine Sackgasse“, resümiert Vogelsang. „Die Verlage müssen vielmehr das Wissen über ihre Leser gezielt nutzen und innovative Ideen entwickeln, die den Nerv der Zeit treffen. Die Tablet-PCs bieten hier eine einmalige Chance. Die Verlage müssen sie nur nutzen.“
Für die Studie Zukunft des deutschen Zeitschriftenmarktes wurden in Zusammenarbeit mit dem Medienforschungsspezialisten d.core. 7000 Leser zu 100 führenden Zeitschriften in sieben Segmenten befragt.
(Booz & company/ml)