Versicherungen bekommen Naturkatastrophen sehr unmittelbar über die Schadensmeldungen zu spüren. Entsprechend aussagekräftig sind ihre Schadensbilanzen bei richtiger Interpretation (siehe dazu den Kommentar am Ende). Angesichts der Klimadiskussion erregte deshalb eine Naturkatastrophen-Bilanz des weltweit größten Rückversicherers Munich Re (frühere Münchner Rückversicherung) vor wenigen Tagen besondere Aufmerksamkeit. Die hohe Anzahl von Wetterkatastrophen sowie Temperaturrekorde global und in den verschiedensten Regionen der Erde seien Indizien dafür, dass der Klimawandel voranschreitet, so der Konzern.
Nach Angaben des Münchner Rückversicherers haben 2010 mehrere Großkatastrophen zu erheblichen Schäden und außergewöhnlich vielen Todesopfern geführt. Geprägt wird die Naturkatastrophen-Bilanz des Konzerns allerdings von einer Häufung schwerer – aber klimaunabhängiger – Erdbeben, wie sie in den letzten Jahrzehnten nur selten zu beobachten war.
Insgesamt wurden laut Bilanz im vergangenen Jahr 950 Naturkatastrophen verzeichnet, neun Zehntel davon wetterbedingte Ereignisse wie Stürme, Unwetter oder Überschwemmungen. Damit sei 2010 das Jahr mit der zweithöchsten Zahl an Naturkatastrophen seit 1980 gewesen. Die Anzahl habe auch deutlich den Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre von jährlich 785 Ereignissen übertroffen, ließ der Konzern wissen.
Die gesamtwirtschaftlichen Schäden lagen demnach bei rund 130 Milliarden US-Dollar, davon waren etwa 37 Milliarden US-Dollar versichert. Die gesamtwirtschaftlichen Schäden lagen etwas über dem hohen Durchschnittsniveau der vergangenen zehn Jahre. Das Jahr gehörte damit zu den sechs schadenintensivsten Jahren für die Versicherungswirtschaft seit 1980.
Insgesamt ereigneten sich im vergangenen Jahr fünf Katastrophen, die in Anlehnung an die Definition der Vereinten Nationen (UN) in die oberste Kategorie der Größtkatastrophen einzuordnen waren: die Erdbeben in Haiti (12. Januar 2010), in Chile (27. Februar 2010) und in Zentral-China (13. April 2010) sowie die Hitzewelle in Russland (Juli bis September 2010) und die Überschwemmungen in Pakistan (ebenfalls Juli bis September 2010). Auf sie entfiel laut Konzern im abgelaufenen Jahr der größte Teil der Todesopfer (insgesamt etwa 295.000) sowie knapp die Hälfte der ausgelösten gesamtwirtschaftlichen Schäden.
Von den klimabedingten Katastrophen hatten die Überschwemmungen im Sommer in Pakistan die verheerendsten Folgen. Wochenlang war bis zu einem Viertel des Landes überschwemmt. Unzählige Menschen verloren alles, was sie hatten. Der gesamtwirtschaftliche Schaden betrug 9,5 Milliarden US-Dollar – eine extreme Summe für das wirtschaftlich wenig entwickelte Land.
Eine Katastrophe sehr großen Ausmaßes wurde auch durch die Hitzewelle in Russland und angrenzenden Ländern zwischen Juli und September ausgelöst. Vielerorts, wie auch in Moskau, wurden Rekordtemperaturen erreicht. In einigen Regionen Zentralrusslands lagen die Temperaturen zwei Monate lang über 30° C. Wälder standen in Flammen, die Brände bedrohten sogar kerntechnische Einrichtungen und Gegenden, in denen die Böden noch von dem radioaktiven Niederschlag von Tschernobyl belastet waren. Mindestens 56.000 Menschen starben an den Folgen von Hitze und Luftverschmutzung.
Glimpflich verlief die Hurrikansaison im Nordatlantik – aber nur auf den ersten Blick. Durch günstige Wetterlagen wurde die US-Küste von keinem Hurrikan getroffen. In Mexiko richteten einige Stürme dagegen erhebliche Schäden an. Ansonsten drehten die Stürme auf dem Meer in Richtung Nordosten ab und streiften nur einige Inseln in der Karibik.
Aber: Was glimpflich aussah, war gemessen an der Zahl und Intensität der Stürme eine der heftigsten Hurrikan-Saisons der vergangenen 100 Jahre. Insgesamt wurden 19 benannte Tropenstürme gezählt. Zwölf der Stürme erreichten Hurrikanstärke, fünf fielen in die obersten Hurrikan-Kategorien (Windgeschwindigkeit über 178 km/h). „Die Zahl der Stürme liegt weit über dem Durchschnitt. Nur: Ob und wo solche Stürme an Land gehen, ist schlicht nicht vorherzusagen“, so Professor Peter Höppe, Leiter der Georisikoforschung von Munich Re.
Bereits zu Beginn der Hurrikansaison 2010 lagen die Wassertemperaturen im tropischen Nordatlantik um bis zu 2 °C über dem langjährigen Mittel – und damit auch deutlich höher, als es für die seit 1995 anhaltende zyklische Warmphase im Nordatlantik erwartet werden kann. Die Wassertemperaturen boten damit ideale Voraussetzungen für die Entstehung und eine hohe Intensität von Hurrikanen. Ab Anfang August begünstigten auch atmosphärische Bedingungen zunehmend das Entstehen von atlantischen Tropenstürmen (La Niña-Bedingungen).
„Das passt zum Trend der vergangenen 30 Jahre, der in allen Ozeanbecken einen Anstieg der Wassertemperaturen zeigte. Dieser Langfristtrend ist nicht mehr allein mit natürlichen Klimaschwankungen zu erklären. Vielmehr dürfte der Klimawandel einen Teil zur Erwärmung der Weltmeere beitragen“, mutmaßt Höppe.
Stärkster Sturm der Saison war Igor, der über dem offenen Meer Windgeschwindigkeiten bis zu 250 km/h erreichte, dann aber die Bermudas nur noch in Stärke eines schwächeren Hurrikans streifte. Teuerster Sturm war Hurrikan Karl, der in Mexiko 3,9 Milliarden US-Dollar gesamtwirtschaftliche Schäden verursachte, davon waren 150 Millionen US-Dollar versichert. Dagegen drehten alle Stürme, die im mittleren tropischen Atlantik östlich von Kuba und den karibischen Inseln entstanden, in den Norden ab.
2010 brachte eine den Vorjahren vergleichbare Verteilung der Naturkatastrophen über die verschiedenen Weltregionen. Die meisten Katastrophen ereigneten sich auf dem amerikanischen Kontinent (365) und in Asien (310). 120 Naturkatastrophen wurden in Europa gezählt, 90 in Afrika und 65 in Australien/Ozeanien. Auf Nord- und Südamerika entfiel auch der höchste Teil der versicherten Schäden: rund zwei Drittel. In Europa fielen 17 % der Schäden an. In Australien/Ozeanien verursachten Naturkatastrophen rund 16 % der weltweiten versicherten Schäden.
Ein ganz anderes Naturereignis machte 2010 die Anfälligkeit der vernetzten Systeme der Weltwirtschaft deutlich: der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull auf Island im April. Wegen der in die Atmosphäre geschleuderten Staubpartikel kam der Flugverkehr über Nordeuropa über Tage nahezu vollständig zum Erliegen. Unmittelbar beschädigt wurde wenig. Aber durch den Ausfall der Lieferung wichtiger Güter an Industriebetriebe wurden im Laufe der Zeit immer mehr Sektoren der Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Die Fluggesellschaften hatten Folgekosten in Milliardenhöhe zu bewältigen.
Die Schäden durch die extremen Überschwemmungen im Nordosten Australiens konnte der Versicherungskonzern noch nicht abschließend beziffern. Seit Anfang Dezember sind etliche Orte überschwemmt und von der Außenwelt abgeschnitten, große Tagebauminen mussten ihren Betrieb vorübergehend einstellen. Starke Niederschläge in dieser Region kommen immer wieder vor, und durch die vorherrschenden La Nina-Bedingungen werden solche Wetterlagen begünstigt.
Kommentar
Bei der Interpretation des eindrucksvollen und faktenreichen Berichts der Munich Re in den letzten Tagen wurde leider immer wieder übersehen, dass Versicherungsbilanzen keine Umweltbilanzen im eigentlichen Sinne sind. So hängt die Schadenshöhe einer Naturkatastrophe nicht nur vom angerichteten physischen Schaden ab, sondern auch von den Preisen der Waren und Dienstleistungen, die von der Versicherung zu begleichen sind. Außerdem steigen die versicherten Werte innerhalb einer Schadensregion mit der Bevölkerungsdichte und deren Wohzlhabenheit. Anders ausgedrückt: Die Schäden durch Naturkatastrophen wachsen auch mit dem Preisniveau, der Bevölkerungsdichte und sogar dem gesellschaftlichen Fortschritt. Zumindest die ersten beiden Faktoren nahmen in den meisten betroffenen Ländern im Berichtszeitraum zu.
Kritisch in Hinblick auf generelle Klimaaussagen ist auch der im Gegensatz zur meteorologischen und geologischen Forschung vergleichsweise lächerlich kurze Betrachtungszeitraum der Versicherungswirtschaft von rund einem Jahrhundert. Länger reichen die Aufzeichnungen nur in wenigen Fällen und dann nur räumlich beschränkt zurück, ganz im Gegensatz zu den Daten der Meteo- und Geowissenschaftler.
Ein dritter wichtiger Faktor besteht im speziellen Blickwinkel einer Versicherungsgesellschaft, deren Interesse darin besteht, in erster Linie die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe für die eigene Kostenkalkulation möglichst vorhersagbar zu machen, nicht aber, Katastrophen zu verhindern. Denn salopp ausgedrückt sind Katastrophen schließlich die Geschäftsgrundlage einer Rückversicherung. Dies ist nicht ehrenrührig, denn Versicherungen helfen den Menschen und Unternehmen die Folgen von Katastrophen zu überwinden. Klimaschützer täten allerdings gut daran, aus den genannten Gründen öffentlich vorgetragene klimapolitische Aussagen und Prognosen von Versicherern kritischer zu hinterfragen, als das zum Teil in den letzten Tagen geschah.
(ml)