Der Energiesektor steht vor einem radikalen Umbruch hin zu vielen kleinen Anbietern regenerativer Energien, die über ein dezentrales Netz ihre Energie verteilen. Der Branchenverband BITKOM fordert deshalb, Deutschland brauche einen detaillierten Zeitplan – eine sogenannte Roadmap – für den Übergang zu einem umweltfreundlichen, dezentralen und intelligenten Energienetz. Sein Präsident brachte es gestern in Berlin auf die ebenso knappe wie provokante Formel: Lieber intelligente Stromzähler fördern statt Kohle.
Regierung, Stromanbieter, Verbraucherschützer und Industrie sollten sich zusammensetzen, um gemeinsam den Aufbau des intelligenten Stromnetzes der Zukunft anzugehen, appellierte BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer gestern in Berlin anlässlich des zweiten E-Energy-Kongresses des Bundeswirtschaftsministeriums an Wirtschaft und Politik.
Im Energiekonzept der Bundesregierung bilden Erneuerbare Energiequellen die Grundlage der Stromversorgung im Jahr 2050. Aber nur intelligente Energienetze, sogenannte Smart Grids, ermöglichen die effiziente Nutzung regenerativer wie fossiler Energiequellen und müssen damit die Basis für eine umweltfreundliche Energieversorgung werden. „Mit Smart Grids können sich Verbraucher bewusst entscheiden, ob sie Windstrom von der Nordseeküste oder die Solarenergie lokaler Kleinstkraftwerke beziehen“, so Scheer. Seine Forderung: Die Verbraucher müssten lernen, mit den neuen Möglichkeiten umzugehen. „Strom hat nicht nur eine Quelle, sondern künftig auch stündlich wechselnde Preise.“ Eine solche Sichtweise müsse die Regierung aber aktiv fördern.
Derzeit halten zwei Drittel aller jungen und technikaffinen Menschen in Deutschland intelligente Stromzähler in der Wohnung prinzipiell für eine gute Idee. Doch nur ein knappes Drittel der Befragten will diese Smart Meter zuhause auch tatsächlich nutzen. Das ergab eine unter der Leitung von Prof. Dr. Arnold Picot Durchgeführte und vom BITKOM unterstützte Studie des Instituts für Information, Organisation und Management an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Laut Umfrage zur Studie steigt die Bereitschaft, Smart Meter zu nutzen mit dem Umweltbewusstsein der Befragten. Niedrigere Stromkosten sind hingegen kein entscheidender, bewusstseinsbildender Faktor. Damit die neue Technologie von den Verbrauchern akzeptiert werde, müsse sie zudem einfach zu bedienen sein. Kein Mensch wolle sich ständig Gedanken machen, wann er die Waschmaschine anstellt, um den billigsten Strom zu beziehen. Hier habe die Industrie die Aufgabe, komfortable Produkte zu liefern, deren Nutzen sofort erkennbar ist.
Das Stromnetz der Zukunft erfordert laut Verband hohe Investitionen in Milliardenhöhe. Scheer hält das aber für kein Hindernis: „Investitionen in Smart Grids sind gut angelegt und erhöhen die geringe Investitionsquote in Deutschland. Wir müssen verstärkt in zukunftsfähige Technologien und Infrastrukturen investieren, die unsere Substanz stärken und zu Produkten führen, die wir auf den Weltmärkten erfolgreich anbieten können.“ Er fordert, Deutschland sollte bei E-Energy seine sehr gute Ausgangsposition nutzen und rechtzeitig anfangen, Know-how aufzubauen, Standards mitzuentwickeln und in den Export von E-Energy zu gehen.
Scheer verwies auf entsprechende Engagements Südkoreas und Japans. Die beiden Länder haben 2010 jeweils 800 Millionen Dollar in Smart Grids investiert. Parallel beteiligen sich Unternehmen aus Japan und Korea gezielt an Smart-Grid-Projekten im Ausland, um Know-how für den Weltmarkt zu sammeln.
In der Japanischen Smart Community Alliance sind über 500 Energie- und IT-Unternehmen sowie Forschungsinstitute und öffentliche Organisationen gebündelt. Auf der südkoreanischen Insel Jeju läuft derzeit ein Großprojekt mit knapp 170 Unternehmen aus der Energie und IT-Branche. Scheer warnt angesichts dieser geballten Kräfte: „Deutschland sollte die Milliarden-Subventionen für nicht-erneuerbare Energieformen wie Braun- und Steinkohle komplett streichen – das Geld ist in der Förderung und Erforschung zukunftsträchtiger erneuerbarer Energien und intelligenter Netze besser investiert.“