Gewerkschaftsführer seien gut beraten, sich mit Klassenkampf-Rhetorik und Globalisierungsschimpfe zurückzuhalten, warnte heute das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Die Parolen aus der Mottenkiste könnten sowohl die eigenen Genossen als auch potenzielle neue Mitglieder vergraulen. Dies zeige eine Auswertung der aktuellen Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) durch das Kölner Institut.
Laut Umfrage ist in Deutschland nur noch jeder fünfte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Was den Gewerkschaften aber besonders große Sorge bereitet: Im Osten wie im Westen der Bundesrepublik geht der Nettoorganisationsgrad (der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer an allen abhängig Beschäftigten) weiter drastisch zurück: In den westdeutschen Bundesländern ist der Organisationsgrad mit zuletzt 20,8 % knapp vier Prozentpunkte niedriger als im Jahr 2000 und 7,5 Prozentpunkte niedriger als 1991. In den ostdeutschen Ländern lag der Organisationsgrad im Jahr 2000 noch bei 18,4 Prozent, in der aktuellen Erhebung aber nur noch bei 15,6 %.
Kein Wunder also, dass die Gewerkschaften die Werbung neuer Mitglieder kräftig vorantreiben wollen. Aus Gewerkschaftssicht bietet sich dazu vordergründig eine stärkere Betonung tradiert gewerkschaftspolitischer Positionen an. Zumal eine Analyse der wirtschaftspolitischen Programmatik zeigt, dass die Gewerkschaften den Einstellungen der Mitglieder generell stärker Rechnung tragen als denen der Nicht-Organisierten. Das aber könnte sich als fatal erweisen.
Laut dieser Umfrage glauben nämlich zwar zwei von fünf Gewerkschaftern, dass offene Weltmärkte den internationalen Wohlstand gefährden – ebenso viele sind jedoch Befürworter des Freihandels. Von den Nicht-Organisierten ist sogar jeder Zweite ein Globalisierungsbekenner und nicht einmal jeder Dritte ein Kritiker. Allein diese beiden Positionen zeigen, dass selbst innerhalb der Mitgliederschaft die Zustimmung zu den traditionellen Gewerkschaftspositionen geschwunden ist.
Auch beim Thema Lohn stehen sich sowohl in den Gewerkschaften als auch bei den Nicht-Organisierten zwei große Gruppen gegenüber: Die einen stimmen der sinngemäßen Aussage „Wer mehr leistet als andere, soll auch mehr verdienen“ zu, die anderen lehnen sie ab.
Einigkeit hingegen herrscht zwischen Gewerkschaftern und Nicht-Organisierten, wenn es um das Sozialstaatsprinzip geht. Rund 86 % der Genossen sehen die soziale Sicherung als das wichtigste Ziel der Regierungspolitik an; von den Nicht-Organisierten sind es fast ebenso viele, nämlich knapp 84 %.