Deutschland muss schon ab 2040 ganzjährig mit einer starken Zunahme extremer Niederschläge rechnen. Damit drohen bereits in drei Jahrzehnten deutlich mehr Schäden durch Überschwemmungen, warnen Wissenschaftler, die an einem Forschungsprojekt zu den Auswirkungen des Klimawandels auf extreme Wetterereignisse teilnahmen. Sie appellieren an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Deutschland müsse sich frühzeitig auf die wachsenden Gefahren durch Wetterextreme vorbereiten.
Das Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse am Dienstag von den vier Behörden in Berlin vorgestellt wurden, ist ein Gemeinschaftsprojekt des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), des Technischen Hilfswerks (THW), des Umweltbundesamtes (UBA) und des Deutschen Wetterdienstes (DWD).
Dr. Paul Becker, Vizepräsident des DWD warnte auf der Berliner Pressekonferenz: „Im Winter, also den Monaten Dezember, Januar und Februar, erwarten wir bis zum Jahr 2100 in weiten Teilen Deutschlands mehr Starkniederschläge.“ Die DWD-Experten gehen konkret davon aus, dass deren Häufigkeit etwa ab 2040 teilweise deutlich steigen wird. Als Starkniederschläge bezeichnen Meteorologen Regenmengen, die im Mittel vor Ort nur etwa an jedem 100. Tag überschritten werden und je nach Region 10 bis 100 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden erreichen.
In küstennahen Gebieten könnte sich die Anzahl extremer Niederschläge – verglichen mit dem Zeitraum 1960 bis 2000 – verdoppeln, in den Alpenregionen nahezu konstant bleiben und zwischen Küste und Alpen um bis zu 50 % zunehmen. In den Sommermonaten Juni, Juli und August dürfte sich die Häufigkeit von Starkniederschlagsereignissen nach Expertenmeinung nicht in allen Teilen Deutschlands einheitlich entwickeln. In den meisten Regionen rechnet der DWD mit einem Anstieg um etwa 50 %, in Teilen des Nordostens auch mit einer leichten Abnahme der Starkniederschlagstage.
„Diese Ergebnisse erhöhen den Handlungsdruck, die Vorsorge gegenüber den Folgen des unvermeidbaren Klimawandels zu verstärken“, erklärte Jochen Flasbarth, Präsident des UBA. Vor allem Extremereignisse bergen ein großes Schadenspotenzial zum Beispiel für Infrastrukturen wie die Wasser- und Energieversorgung und die Verkehrswege. Deshalb habe der Bund einen besonders hohen Beratungsbedarf zu der Frage, wie sich extreme Wetterereignisse künftig verändern werden und wie Deutschland sich auf häufigere und heftigere Extremereignisse vorbeugend vorbereiten könne, so Flasbarth weiter.
Das Umweltbundesamt untersucht vor allem die Folgen von Wetterextremen auf Umwelt und Gesellschaft. Da diese in Deutschland regional unterschiedlich sein werden, brauche es auch regional unterschiedliche Anpassungsreaktionen, empfehlen die UBA-Experten. So richten zum Beispiel Starkniederschläge gerade in Städten große Schäden an. Deshalb seien dort Anpassungsmaßnahmen, die auf eine wassersensible Stadtgestaltung hinaus liefen, von großer Bedeutung. Das UBA empfiehlt Städten deshalb eine dezentrale Regenwasserversickerung und ihre Oberflächen so zu gestalten, dass sie unter normalen Wetterbedingungen für Freizeitaktivitäten genutzt werden können, im Ereignisfall aber dem Wasserrückhalt dienen können.
Christoph Unger, Präsident des BBK, betonte, dass die Anpassung an den Klimawandel eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, denn es liege in der Verantwortung des Einzelnen, seinen Beitrag zu leisten. Zugleich gehöre der Umgang mit Extremwetterereignissen und anderen Naturgefahren für den Bevölkerungsschutz schon immer zu dessen originären Aufgaben. „Wenn wir aber das aktuell sehr hohe Niveau des Bevölkerungsschutzes in Deutschland halten und weiter erhöhen wollen, kommt es darauf an, Veränderungen von Gefahrenlagen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu reagieren.“
Eine mögliche Veränderung von Starkregenereignissen sei deshalb für die Rettungsdienste, Feuerwehren, das THW und andere Aktive im Bevölkerungsschutz von zentraler Bedeutung. Der Bevölkerungsschutz müsse sich angesichts der erwarteten Veränderungen die Frage stellen, ob die einsatztaktischen, personellen oder materiellen Mittel und Ressourcen auch in Zukunft geeignet und ausreichend verfügbar sein werden. So könne es sinnvoll sein, Alarmpläne und Ausstattungskonzepte zu überarbeiten und zu bewerten, ob die vorgehaltenen Kapazitäten ausreichen – unabhängig davon, ob es sich um Spezialgerät oder Einsatzkleidung handelt.
Extremwetterereignisse wie Schneekatastrophen, Hochwasserereignisse und extreme Trocken- und Hitzeperioden waren und sind in Deutschland die am häufigsten auftretenden Großschadensereignisse, so Volker Strotmann, Leiter der Abteilung Einsatz im THW. Da das THW technische Unterstützung vor Ort leiste, sei es von einer möglichen Veränderung extremer Wettereignisse besonders stark betroffen. Als Beispiel nannte Strotmann das Jahr 2010. So fielen insgesamt rund 850.000 Einsatzstunden an – fast doppelt so viele, wie 2009. Der größte Teil davon entfiel auf wetterbedingte Einsätze.
Um eine Entscheidungsgrundlage für die Zukunft zu bekommen, habe sich das THW als operativ tätige Organisation an dem Forschungsprojekt beteiligt, so Strotmann weiter. Nur durch die Identifizierung der Risiken, der Eintrittswahrscheinlichkeit und die Abschätzung des zu erwartenden Schadens sei es möglich, sich gezielt auf kommende Schadensereignisse auszurichten. Erst dann könne das THW entscheiden, ob die jetzige Struktur beibehalten werden kann oder ob es in bestimmten Bereichen andere Einsatzschwerpunkte geben muss, also ob zum Beispiel mehr Einheiten bereitgestellt werden müssen, die große Mengen Wasser fördern können, oder ob es mehr Kapazitäten geben müsse, die in größerem Umfang Elektrizität liefern.
Eine interessante Faktensammlung zu den Forschungsergebnissen des Forschungsprojekts und zur Rede des Vizepräsidenten des Deutschen Wetterdienstes, Dr. Paul Becker, steht als kostenloser Download zur Verfügung.