Die Ablehnung der Deutschen gegenüber dem Biosprit E10 speist sich aus zwei Quellen: der Angst um das eigene Auto und der emotionalen Scheu, einen Kraftstoff zu fahren, der aus potenziellen Lebensmitteln gewonnen wird. Das sollte eigentlich niemanden verwundern, werden die Bundesbürger doch seit Jahrzehnten mit den Bildern hungernder Menschen in der Dritten Welt immer wieder zur Spendenkasse gebeten. Steckt hinter dieser Scheu aber mehr als nur Gefühl? Glaubt man Dr. Detlef Virchow, Geschäftsführer des Food Security Centers der Universität Hohenheim, dann ist die Scheu der Deutschen durchaus berechtigt.
Umweltminister Norbert Röttgen – das machte er auf dem jüngsten „Benzin-Gipfel“ auf Nachfrage klar – sieht für Deutschland keine Gefahr, dass es zwischen dem Anbau von Pflanzen für die Ernährung und dem für die Treibstoffgewinnung zu einer Konkurrenz kommen könnte. Virchow erkennt aus seiner Warte als Wissenschaftler und Welternährungsexperte allerdings durchaus Problemfelder.
Food Security Center der Universität Hohenheim
Das Food Security Center erforscht auf wissenschaftlicher Basis weltweit innovative und wirkungsorientierte Wege zur Verminderung von Hunger und zur Verbesserung der Ernährungssicherung. Geleitet wird das Center von Dr. Detlef Virchow.
Am Zentrum der Einrichtung an der Universität Hohenheim forschen rund 50 Professoren aus den Agrar-, Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit besonderer Tropen-Kompetenz. In Afrika, Asien und Lateinamerika kooperiert das Food Security Center mit verschiedenen Universitäten und Forschungszentren.
Forschungsthemen sind neben der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln der Zugang und deren Verwendung, aber auch Qualität und Sicherheit von Nahrungsmitteln sowie deren Verwertung. Besonders wird dabei auf die Rolle der Geschlechter und der Nachhaltigkeit des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses und der Wertschöpfungsketten Bezug genommen.
In einem Interview für die das Themenjahr Universität Hohenheim – stark durch Kommunikation bezog der Hohenheimer Wissenschaftler eine vorsichtig kritische Position: Sicherlich werde es in Deutschland oder den entwickelten Staaten auf der nördlichen Halbkugel zu keiner direkten Konkurrenz von Pflanzenanbau zur Ernährung und zur Herstellung von Ethanol kommen. Dafür habe Deutschland derzeit noch genügend brachliegende Flächen und könne momentan noch jederzeit auf dem Weltmarkt fehlende Nahrungsmittel einkaufen.
Virchow sieht darüber hinaus sogar positive Effekte für hiesige Landwirte. Ihnen könnte der zusätzliche Anbau nachwachsender Energieträger neue Einkommensquellen erschließen. Auch er erwarte deshalb kurzfristig keine dramatischen Auswirkungen.
Dann aber kommt Virchow auf die problematische Seite des Biosprits zu sprechen: Mittelbar brauche jede Pflanze, die zur Ernährung der Weltbevölkerung dient und nicht bei uns angebaut wird, anderswo eine Anbaufläche. Hier sieht der Hohenheimer Experte die Gefahr, dass sich das Problem in andere Länder verlagern wird. Das wären dann seiner Erfahrung nach – wie schon bei bisherigen Problemen im Agrarsektor, vor allem die Entwicklungsländer. „Die Tortilla-Krise in Mexiko bietet nur einen Vorgeschmack darauf, wie sich das Anbauverhalten der USA auf den amerikanischen Kontinent mittelfristig auswirken könnte“, warnt Virchow.
Zwar habe es in diesem Fall gar keinen echten Mangel an Mais für die Ernährung gegeben. Diese Krise zeige aber, dass jede Verknappung im Ernährungssektor die Spekulation auf den Märkten anfeuert – mit den bekannten Folgewirkungen für die Entwicklungsländer: Hunger und weitere Verarmung. Die Hungerrevolten auf Haiti aufgrund von explodierenden Preisen und einer tatsächlichen Verknappung der Nahrungsmittel zu Beginn des Jahres 2008 hätten zudem gezeigt, dass sich die Armen und Hungernden nicht mehr mit Vertröstungen abspeisen lassen.
Die Gefahr einer Hungerrevolte bestehe für Deutschland natürlich nicht. „Aber ich empfehle zu bedenken, dass das Verhalten eines Global Players wie Deutschland Signalwirkung auf andere Länder hat. Entscheiden wir uns dafür, großflächig Ackerbauflächen für die Treibstoffgewinnung zu nutzen, dann werden andere Länder sich an unserem Beispiel orientieren und nachziehen.“ Davon ist der Hohenheimer überzeugt. Vor allem Menschen mit schwächerer Kaufkraft – also die Armen in den Entwicklungsländern – würden in diesem Fall ihren Bedarf an Lebensmitteln nicht mehr bzw. nicht mehr vollständig am Markt decken können.
Deshalb sei E10 letztlich doch ein Welternährungsrisiko: „Die deutschen Autobesitzer mögen zwar vor allem an ihre Motoren denken, aber gleichzeitig verursachen wir damit über verschiedene Wirkungsketten, dass Hunger und Armut in den Entwicklungsländern steigen – und in der Regel steigt damit auch die Umweltzerstörung. Da braut sich ein explosives Gemisch zusammen, welches nur in den seltensten Fällen so produktiv genutzt wird wie in Tunesien und Ägypten.“
Hinzu komme der allgemeine Zweifel, ob mit E10 tatsächlich die Umweltbelastung hier in Deutschland reduziert werden wird. „Meines Erachtens sollte es daher intelligentere Lösungen für unser Energieproblem geben als E10“, appelliert der Wissenschaftler an die Politik.