Die ganze Welt leidet und bangt in diesen Tagen mit den Menschen in Japan. Aber angesichts der sich immer noch zuspitzenden Katastrophe im Kraftwerk Fukushima werden die Auswirkungen auf den Rest der Welt immer stärker und die Hoffnungen immer geringer. Mittlerweile überschattet der bevorstehende Gau in den Medien die Zerstörungen durch das Erdbeben und den Tsunami bei weitem. Auch unsere Hoffnung vom Montag auf eine Wende zum Guten hat sich leider nicht erfüllt. Eine neue Einschätzung ist daher nötig geworden. (Faktenstand: Mittwochnacht, 23 Uhr)
Die dramatische Verschlechterung der Situation hat nach unserer Einschätzung drei weitreichende Folgen:
1. Das Weltvertrauen in eine schnelle Bewältigung der Katastrophenlage durch die japanische Regierung ist drastisch gesunken, nicht zuletzt, weil die Auswirkungen der atomaren Verseuchung – so sie eintreten sollte – weitgehend unabhängig vom politischen Willen langfristig sein werden. Dieses Risiko belastet nicht nur die japanischen Börsenwerte, sondern die Finanzmärkte weltweit. Der Absturz der Börse in Tokyo ist zwar nicht unbedingt der Maßstab für den mittelfristigen Trend – hier spielt auch die Panik des Augenblicks eine Rolle – aber eine „kleine“ Version der Finanzkrise ist denkbar. Andererseits könnte ein glimpfliches Ende der Reaktorkatastrophe an den Börsen auch einen Erleichterungsschub mit Ausschlag nach oben auslösen. Damit wird die Börse leider für Spekulanten und Spieler äußerst interessant, während seriöse Anleger sich deutlich zurückhalten, wenn nicht gar zeitweise zurückziehen dürften
Mittelständische Unternehmen in Deutschland sollten deshalb vorsorglich prüfen, wie stark ihre Hausbank oder ihre Investoren (so vorhanden) in japanische Objekte oder asiatische Finanzwerte eingebunden sind. In kritischen Fällen sind Zusatzvereinbarungen oder Kreditumschichtungen bei Berücksichtigung möglicher Kosten zu überlegen.
2. Die Reaktorkatastrophe löst bereits seit Tagen einen weltweiten Sinneswandel in der Energiefrage aus – und zwar auch in Ländern, die bisher kein gesteigertes Interesse an Alternativen zur Kernenergie zeigten. Die derzeit in Deutschland vorhandene und durch die Medien verstärkte Hoffnung auf eine weltweite Sternstunde der Erneuerbaren Energie dürfte sich allerdings bald abkühlen, denn diese Energien sind für viele Länder noch immer zu teuer. Im Rennen um billige Solarpanel und andere Quellen für Erneuerbare Energien sitzen aber asiatische Länder, vor allem China bereits in den Startlöchern.
Was bleiben wird ist ein relativ kleines Zeitfenster, das entsprechend aufgestellten mittelständischen Unternehmen den Zutritt zu ausländischen Märkten erleichtert. Danach werden die großen Hersteller in Asien die Lücke mit Dumpingpreisen schließen. Wir empfehlen deshalb, schon jetzt mit entsprechenden Vorarbeiten und Sondierungen zu beginnen, um das Zeitfenster maximal nutzen zu können.
3. Da Japan ein wichtiger Lieferant elektronischer Bauteile ist, besteht bereits jetzt für einige besonders hochwertige Komponenten ein Engpass. Dieser wird im Falle des Super-Gaus die Verfügbarkeit der Komponenten noch mehr beeinträchtigen. Auch wenn es in anderen asiatischen Ländern Produktionsüberkapazitäten gibt – besonders hochspezialisierte Komponenten unterliegen umfangreichen Patenten, die ihre Inhaber angesichts der Gefahr von Produktpiraterie auch nicht für eine begrenzte Zeit weiterreichen werden.
Unternehmen, die auf solche Komponenten angewiesen sind, sollten sich bereits jetzt ausreichend Lieferkontingente sichern und für die wichtigsten eigenen Produkte Alternativen ausarbeiten, die ohne die gefährdeten Komponenten auskommen. Tipp: Eventuell wurden solche Alternativen bereits in der Entwicklungsphase ausgearbeitet, in der Optimierungsphase aber aus Kostengründen verworfen.
Wichtig: Der Mangel birgt nicht nur Gefahren. Er bedeutet für rechtzeitig vorsorgende Unternehmen auch zusätzliche Wettbewerbschancen gegenüber großen und damit träger reagierneden Mitbewerbern.
Unbedingt anzuraten ist eine firmeninterne Überprüfung aller denkbaren Verbindungen zu japanischen Lieferanten und Kunden. Marketing, Kundenservice, Buchhaltung und Lizenz-/Vertragsabteilung (so vorhanden) sind unbedingt einzubeziehen! Problemfelder können Lieferverträge in beide Richtungen sein, aber auch Service- und Wartungsverträge, Werbepläne, geplante Besuche und Meetings, regelmäßige Zahlungsaufträge und Eingänge, Zahlungsausstände und offene Rechnungen. Passt das alles noch? Was ist gefährdet, was fällt weg? Gibt es den Partner noch als Partnerfirma?
Wer Entscheidungen treffen muss, braucht allerdings auch belastbare Fakten. Um diese ist es derzeit im Falle des japanischen Dramas leider noch schlecht bestellt. Immerhin gibt es Quellen, deren Aufgabe es ist, solche Informationen zu liefern. Dazu unser Rat:
1. Seien Sie mit Schlussfolgerungen aus allgemeinen Medienberichten zurückhaltend. Diese geben einen oft einseitig überzogenen und emotional gefärbten Einblick.
2. Die offiziellen Quellen sind
- Deutsche Industrie- und Handelskammer Japan
- Japanische Industrie- und Handelskammer,
- Deutsches Auswärtiges Amt,
- Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin,
- Goethe Institut (Tokyo bis voraussichtlich 21. März geschlossen, Osaka geöffnet)
3. Unternehmen mit Kontakten zu wissenschaftlichen Einrichtungen sollten diese um Informationen oder Kontaktdaten zu Ansprechpartnern vor Ort bitten. Die meisten Einrichtungen solcher Art unterhalten zu ähnlichen Einrichtungen in anderen Ländern intensive wissenschaftliche oder persönliche Kontakte.
4. Gleiches gilt für Branchen- und Unternehmerverbände. Scheuen Sie sich nicht nachzufragen.
Schließlich haben Geschäftsverbindungen noch eine wichtige menschliche Seite: Behutsame Anfragen bei den japanischen Partnern per Mail oder Fax nach dem Befinden sind durchaus angebracht. Eine andere Antwort als die Beteuerung, alles sei in Ordnung, ist allerdings nicht zu erwarten. Das gebietet die asiatische Auffassung sonst das Gesicht zu verlieren. Allein – diese Geste zählt auch in Japan.
Aber Vorsicht: Direkte Hilfsangebote oder gar offenes Mitleid verstoßen gegen den Ehrenkodex der Japaner! Wer seinen fernöstlichen Partner nicht genau kennt, kann hier der Geschäftsbeziehung mehr schaden als nützen. Man kann Hilfe bestenfalls anbieten, wenn man gleichzeitig zusichert, man betrachte es als Ehre, helfen zu dürfen – und sollte es dann auch so zelebrieren und empfinden. Alles andere wäre eine zusätzlich schmerzende Demütigung. Das gilt auch für offene und besserwisserische Kritik an der japanischen Regierung und Energiepolitik.
Wir werden auch in den kommenden Tagen immer wieder Aspekte der japanischen Katastrophe recherchieren, die Auswirkungen auf mittelständische Unternehmen haben. Dabei greifen wir auch gerne Hinweise aus den Reihen unserer Leser auf. Je mehr Wissen zusammengetragen wird, desto besser. Sollten Sie deshalb von Geschäftspartnern, durch eigene Erfahrungen vor Ort gewonnene oder von rückkehrenden Mitarbeitern erhaltene Fakten beitragen können, würden wir uns über Ihre Mithilfe sehr freuen und Sie bei Veröffentlichung Ihrer Informationen namentlich als Quelle nennen. Schicken Sie entsprechende Informationen am besten schriftlich per E-Mail an: journalist@michaellang.eu.
(ml)