Großprojekte haben sehr lange Vorlaufzeiten. Entsprechend groß ist die Verzögerung, mit der der Großanlagenbau auf konjunkturelle Veränderungen reagiert. Deshalb konnte erst jetzt die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (AGAB) in Frankfurt Zahlen präsentieren, die belegen, dass der Aufschwung in der Branche angekommen ist. So konnten die Mitgliedsunternehmen des Verbands 2010 Bestellungen in Höhe von 22,4 Milliarden Euro verbuchen, 1 % mehr als im Vorjahr.
Der Großanlagenbau hat die Talsohle des letzten Abschwungs damit durchschritten und befindet sich auf Erholungskurs. „Die wieder anziehenden Rohstoffpreise sowie die international zunehmende Nachfrage nach Grundstoffen lassen etliche der in der Rezession verschobenen Vorhaben wiederaufleben und verbessern auch die Nachfrage nach neuen Investitionsprojekten“, erläuterte der stellvertretende Sprecher der AGAB, Helmut Knauthe, die Hintergründe des Erfolgs.
Der Großanlagenbau nimmt mit zeitlicher Verzögerung an wirtschaftlichen Aufschwüngen teil. Internationale Kunden hielten sich in der jetzigen frühen Phase der Erholung noch mit Großaufträgen zurück. Die von den Mitgliedern der AGAB 2010 gemeldeten Auslands-Aufträge lagen mit 17,6 Milliarden Euro um 3 % unter dem Niveau des Vorjahres (2009: 18,1 Milliarden Euro). Jedoch hat sich die Auftragslage im Laufe der Berichtsperiode spürbar verbessert: Während der Export von Januar bis Juni 2010 noch um ein Viertel sank, war von Juli bis Dezember ein Plus von 23 % festzustellen.
Die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) waren 2010 die wichtigsten Auslandsmärkte. 30 % aller Order wurden von Kunden aus diesen Ländern getätigt. Vor zwanzig Jahren waren es erst 9% und vor zehn Jahren 18 %. „Die tiefgreifenden Verschiebungen in den Marktverhältnissen der Weltwirtschaft spiegeln sich somit auch in den Zahlen des Großanlagenbaus wider“, kommentierte Knauthe diese Entwicklung.
Ebenfalls im Aufwind befand sich die Nachfrage in Nordamerika, Afrika und der GUS-Staaten. In Europa lagen die Bestellungen 2010 hingegen unter dem Vorjahresniveau; der Einbruch im Osteuropageschäft fiel mit minus 70 % besonders deutlich aus. „In zahlreichen osteuropäischen Ländern zeigten sich die Folgen der Rezession erst mit Verspätung und führten zu rückläufigen Investitionen vor allem im privaten Sektor“, sagte der stellvertretende AGAB-Sprecher.
Die inländische Anlagennachfrage hat sich 2010 vom Rückschlag des Vorjahres erholt. Mit 4,8 Milliarden Euro stiegen die Auftragseingänge um 27 % gegenüber 2009. „Dies ist maßgeblich auf Großaufträge für Stromübertragungstechnik zurückzuführen. Ferner meldeten auch grundstoffnahe Anlagenbausparten deutliche Zuwächse. Hingegen setzte sich die bereits 2009 zu beobachtende Nachfrageschwäche für fossil befeuerte Großkraftwerke in Deutschland fort“, erläuterte Knauthe.
Die sich bereits 2009 abzeichnende strukturelle Marktveränderung im internationalen Großanlagenbau hinterlässt immer deutlichere Spuren. Die gestiegene Anzahl der global tätigen Anbieter sorgt bei zugleich nur leicht steigender Nachfrage für einen spürbar zunehmenden Wettbewerbsdruck. Dieser erfordert vom deutschen Großanlagenbau parallele Antworten auf mehreren Ebenen. Knauthe: „Klassische Maßnahmen, wie die Verbesserung der Innovationsleistung oder Kostenreduzierungs-Programme, sind zwingend notwendig und werden aktuell auch umgesetzt. Sie alleine werden diesmal aber nicht ausreichen. Auch die Stärkung der Fähigkeit zur gesamtverantwortlichen Abwicklung von Projekten ist nur eine notwendige Bedingung zum Bestehen im internationalen Wettbewerb.“ Die wichtigsten Handlungsfelder sind hier die weitere Internationalisierung der Wertschöpfung und des Einkaufs sowie die Verbesserung des Risikomanagements in den Projekten.