Das deutsche preis- und kalenderbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde im Jahr 2011 voraussichtlich um 3,0 % und damit das zweite Jahr in Folge sehr kräftig wachsen, prognostizierte die KfW Bankengruppe am Freitag letzter Woche. Zeitgleich erschütterte die drittgrößte Volkswirtschaft Japan eine der größten Naturkatastrophe der Neuzeit. Seit einer Woche droht der Insel zudem ein vierfacher Reaktor-Gau. Ist die Prognose damit überholt? Wir fragten heute bei der KfW nach.
Dr. Norbert Irsch, Chefvolkswirt der KfW-Bankengruppe steht nach wie vor zur Prognose einer Drei vor dem Komma. Voraussetzung sei allerdings, dass die Entwicklung rund um die beschädigten Reaktoren sich nicht doch noch weiter zuspitzt. Wie die Weltwirtschaft darauf reagieren würde, sei nicht vorhersehbar.
Halten sich die Schäden Japans aber auf dem derzeit erkennbaren Niveau, dürfte die deutsche Wirtschaftsleistung – wie am letzten Freitag prognostiziert – das Vorkrisenniveau im 2. Quartal 2011 wieder erreichen. Die Krisenlücke hätte sich in diesem Fall deutlich rascher geschlossen als ursprünglich angenommen.
Laut KfW wird sich im Jahr 2012 das Wachstum des BIP voraussichtlich auf noch immer respektable 1,8 % verlangsamen. Vor dem Hintergrund des stabilen, zunehmend auch von der Binnennachfrage getragenen Aufschwungs dürften die Unternehmensinvestitionen weiter kräftig expandieren (2011: +9,0 %; 2012: +4,0 %).
Das kräftige Wirtschaftswachstum sei Ausdruck der fundamental und anhaltend guten Verfassung der deutschen Konjunktur, so Irsch. Die Erholung der Weltwirtschaft, die seit langem gute Wettbewerbsposition der deutschen Exportwirtschaft und der anhaltende Rückgang der Arbeitslosigkeit seien wesentliche Gründe hierfür. Zwar war das Wirtschaftswachstum im Schlussquartal des Jahres 2010 mit 0,4 Prozent das schwächste des gesamten Jahres. Verantwortlich hierfür sei aber in erster Linie der ungewöhnlich frühe und starke Kälteeinbruch, der besonders im Dezember die Bautätigkeit massiv belastete.
Dieser witterungsbedingte Nachholbedarf in der Bauwirtschaft werde im ersten Halbjahr 2011 sogar für einen Extraschub sorgen. Zugleich dürften die Exporte in einem insgesamt freundlichen Weltwirtschaftsklima erneut merklich expandieren, die gute Arbeitsmarktentwicklung und steigende Löhne sollten den Konsum beflügeln.
Zudem werden die niedrigen, aber allmählich steigenden Zinsen und die mittlerweile erreichte hohe Kapazitätsauslastung Unternehmen zu Investitionen veranlassen, glaubt der KfW-Ökonom Irsch. Hierfür sprächen auch die anhaltenden Spitzenniveaus wichtiger Stimmungsindikatoren wie etwa des KfW-ifo-Geschäftsklimas.
Irsch testiert Deutschland einen „soliden Wachstumspfad“. Die Kapazitäten seien wieder gut ausgelastet, die Beschäftigungserwartungen positiv und die Auftragseingänge auf einem hohen Niveau.
„Für dieses Jahr erwarten wir mit einem Zuwachs des BIP von 3,0 % erneut eine Dynamik, die deutlich über dem Potenzialwachstum liegt“, so Irsch weiter. Eine solche Performance sei ein Novum in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte: „Zwei Jahre hintereinander, die beim Realwachstum eine Drei vor dem Komma aufweisen, gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie.“ Erstmals seit vielen Jahren stünden zudem die Chancen gut, dass sich neben den Investitionen auch der private Konsum – und damit beide Hauptkomponenten der Binnennachfrage – nicht nur vorübergehend, sondern nachhaltig beleben.
Es gebe jedoch auch Risiken, warnt der KfW-Chefökonom am Ende doch noch. Insbesondere könnte sich der kräftigere Konsumzuwachs als Hoffnungswert erweisen: Einerseits beeinträchtigen die anziehenden Preise die reale Kaufkraft der privaten Haushalte. Andererseits könnten die dafür notwendigen Reallohnsteigerungen ausbleiben, unter anderem, weil 2011 nur für rund ein Drittel der Beschäftigten die Tarifverträge neu verhandelt werden.
(KfW Bankengruppe / ml)