Die reichen Industriestaaten brüsten sich gerne mit ihrer CO2-Disziplin, allen voran Deutschland. In Wirklichkeit ist ein großer Teil davon schlichter Selbstbetrug, denn die wohlhabenden Länder verlagern über den Import – angefangen von Agrarprodukten für das tägliche Leben bis hin zu Luxusgütern – einen immer größeren Teil ihres CO2-Fußabdrucks in die ärmeren Länder. Besonders fatal: Dort verursachen sie durch ihren Konsum sogar mehr CO2, als sie in ihren eigenen Grenzen einsparen. Das fand jetzt ein internationales Wissenschaftlerteam in der ersten umfassenden Studie zu diesem Thema heraus.
In den Industrieländern werden mehr und mehr Waren konsumiert, die in Entwicklungsländern produziert werden. Während in Industrieländern der Emissionsanstieg zwischen 1990 und 2008 insgesamt gebremst wurde, betrug er weltweit 39 %. Die CO2-Emissionen für die Produktion von Gütern, die in Industrieländern konsumiert werden, ist dabei überdurchschnittlich gewachsen.
Eine Verlagerung von Emissionen in die ärmeren Länder könnte auf Dauer die Wirkung von Emissionsbegrenzungen etwa in Deutschland oder Europa unterlaufen, so die Autoren. „Wer ein Radio oder eine Hose in Deutschland kauft, verursacht CO2-Emissionen im Herstellungsland, weil die Fertigung nun einmal Energie verbraucht – etwa in China oder Bangladesh“, warnt Jan Minx, Experte für Klimaökonomie und Sustainable Engineering (nachhaltige Ingenieurtechnik) an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) und einer der Autoren der Studie.
Unter dem Klimaschutzabkommen des Kyoto Protokolls haben sich Industrieländer zur Begrenzung ihres CO2-Ausstoßes verpflichtet. Für Schwellen- und Entwicklungsländer wurde auf eine solche Begrenzung jedoch verzichtet, um notwendiges Wirtschaftswachstum im Kampf gegen die Armut nicht zu behindern. Industrienationen können deshalb auch durch wachsenden Konsum von Produkten aus Entwicklungsländern direkt am globalen Anstieg klimaschädlicher CO2-Emissionen mitwirken.
„Durch ihren Konsum haben die meisten Industrieländer zu mehr Emissionswachstum in Entwicklungsländern beigetragen, als sie durch Klimaschutz zu Hause eingespart haben“, kritisiert Minx. Der Konsum in Industrienationen verursache einen Emissionsanstieg in Entwicklungsländern, welcher die bis 2008 erreichten Emissionseinsparungen in den Industrienationen um das Fünffache übersteige. „Wir begrenzen Emissionen bei uns, verursachen aber zugleich mehr CO2-Ausstoß in Regionen ohne Klimaschutzziele“, ärgert sich Minx.
Nur durch dieses Auslagern von Emissionen, so die Autoren unisono, könnten die Industrieländer bislang ihre Klimaschutzziele mit vergleichsweise geringen Anstrengungen und trotz wachsenden Konsums erreichen.
Der Leiter des Autorenteams, Glen P. Peters vom Center for International Climate and Environmental Research (CICERO) in Oslo, moniert sogar eine grundlegende Schwäche des internationalen Berichtssystems zur Erfassung von Emissionen: „Im heutigen Zurechnungssystem müssen Industriestaaten die durch ihren Konsum verursachten Emissionen nicht melden, selbst wenn diese zum weltweiten Emissionsanstieg beitragen.“ Emissionen werden unter dem Kyoto Protokoll dem Land zugeschrieben, auf dessen Gebiet sie entstehen. Ob dieses Prinzip alleine ausreicht, solange es nur regionale Ziele im internationalen Klimaschutz gibt, stellt die Studie nun infrage.
Das bedeute nicht, dass man auf regionale Regeln zur Emissionsvermeidung verzichten könne, warnt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Auch er ist ein Autor der Studie und zugleich Leiter des Fachgebiets Klimaökonomie an der TU Berlin. Er hält das Klimaschutzsystem insgesamt für international zersplittert und fordert: „Jetzt brauchen wir Pfade zu einem globalen Abkommen.“ Nur ein solches könne letztlich die in der Studie aufgezeigten Probleme vermeiden.
Es sei im Übrigen nicht die Klimapolitik der Industrienationen, die zur Verlagerung von Emissionen führt – entscheidend seien andere Treiber des globalen Strukturwandels, so die Autoren weiter. Beispielsweise führe das niedrigere Lohnniveau in Entwicklungs- und Schwellenländern zu Produktionsverlagerungen aus Industrieländern. Die Wissenschaftler stützen sich dabei auf Computersimulationen anderer Forscher sowie auf eigene Beobachtungen. Offensichtlich werde das bei einem Vergleich zwischen der EU und den USA: Obwohl es in der EU verbindliche Regeln für Klimaschutz gebe, nicht aber in den USA, sei der Transfer von Emissionen durch Handel hier wie dort gleichermaßen gestiegen.
Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen (siehe Download-Link unten). Die Autoren haben Emissionsverlagerungen in 95 Ländern und 57 Wirtschaftsbranchen über 19 Jahre hinweg untersucht. Bislang hatte es ähnliche Analysen nur für einzelne Jahre gegeben.
Die (englischsprachige) Studie steht als kostenloser Download zur Verfügung.