Nach Meinung zweier gewerkschaftsnaher Steuerexperten werden Kapital- und Unternehmenseinkommen in der Tat zu gering besteuert. Das gehe aus ihrer, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung entstandenen Studie klar hervor, betonen die beiden Wissenschaftler. Sie argumentieren mit einem seit den 1980er-Jahren gestiegenen Anteil der Arbeitnehmer an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben. So habe der Anteil der Lohnempfänger am Volkseinkommen 2010 lediglich 66 % betragen, während ihr Beitrag zum Aufkommen an Steuern und Abgaben bei rund 80 % lag.
Im Gegenzug zum Anstieg des Arbeitnehmeranteils an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben sei der Anteil der Unternehmen in den letzten drei Jahrzehnten sogar noch gesunken, kritisieren die beiden Studienautoren Prof. Dr. Lorenz Jarass und Prof. Dr. Gustav Obermair. Sie haben ausgerechnet, dass die „tatsächliche bezahlte“ Steuer- und Sozialabgabenbelastung von Lohneinkommen 2010 bei durchschnittlich 45 % lag. Von den Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögensanlagen seien jedoch lediglich 22 % an den Staat gegangen.
Die Forscher haben im Detail untersucht, wie die geringe Durchschnittsbelastung von Kapitaleinkünften zustande kommt. Einen wesentlichen Grund sehen Jarass und Obermair in legaler Steuervermeidung und Steuerflucht. Das deutsche Steuerwesen werde den Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft nicht gerecht. Es biete die Möglichkeit, „erhebliche Anteile von großen, in Deutschland erworbenen Einkommen legal dem deutschen Fiskus“ zu entziehen. Ausgehend von ihren Analysen haben die Steuerexperten einen Maßnahmenkatalog entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Schieflage überwinden und die öffentlichen Haushalte auf eine solidere finanzielle Basis stellen ließen. Ihre Vorschläge ließen sich auf nationaler Ebene umsetzen, ohne etwa mit EU-Recht zu kollidieren, betonen die Forscher.
Tatsächlich ist die Diskussion über eine Reform der Unternehmensbesteuerung längst überfällig. So spiegelt die Studie auch das allgemeine Unbehagen über eine Steuerwirklichkeit wider, die nicht mehr zur globalen Wirtschaft passt. Vor allem verzerrt das geltende Steuerrecht mit zahlreichen Ungleichgewichten den Wettbewerb zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und multinationalen Konzernen andererseits. Deshalb sind die Vorschläge der beiden Autoren einen zweiten Blick und eine ernsthafte Diskussion wert – auch wenn einige ihrer Thesen und Argumente wohl dem Auftraggeber geschuldet sein dürften. (Quelle: Hans-Böckler-Stiftung/ml)