„Fifty Shades of Grey“ sind nicht Ihr Ding? Sie bevorzugen anspruchsvollere Literatur, Klassiker oder gar Lyrikbände? Dann vergessen Sie Bestsellerlisten in Zeitschriften und Amazon-Empfehlungen, denn diese orientieren sich an Verkaufszahlen und spiegeln nur den Massengeschmack wider. Nicht so das Start-up Readgeek UG: Hier empfehlen Gleichgesinnte einander ihre Lieblingsbücher – unabhängig von Verkaufsrankings. Wir sprachen mit dem Gründer und Geschäftsführer Uwe Pilz über sein Konzept.
Je exklusiver der eigene Geschmack, desto seltener die Perlen und desto schwieriger die Suche – das gilt für edle Weine ebenso wie für guten Lesestoff. Wer zudem beruflich eingespannt ist, hat oft keine Zeit, sich in einem Buchladen kompetent beraten zu lassen. Dann wird notgedrungen im Internet ein Buch bestellt, das in der Bestsellerliste einer Zeitschrift gerade empfohlen wird. Uwe Pilz will das ändern, denn „Bestsellerlisten sind eigentlich für Durchschnittsleser gemacht, Durchnittsleser ist aber fast niemand, jeder hat seine eigenen Ecken und Kanten und Vorlieben.“
Tatsächlich spiegeln Bestsellerlisten prinzipbedingt nur die meistverkauften und im Handel erhältlichen Titel wieder. Damit sind zwangsläufig drei Schwächen verbunden: Erstens schließt das Ranking-Prinzip alle Nischentitel unabhängig von deren literarischer Qualität aus. Zweitens: Auch Titel, die bei den Barsortimentern nicht gelistet sind, haben kaum Chancen, in den Charts zu erscheinen, da die Verkaufszahlen aus Händlerbefragungen stammen. Zu den nicht gelisteten Titeln zählen viele Bücher sehr kleiner Verlage und von Autoren, die ihre Werke selbst verlegen (sogenannte Selfpublisher).
Drittens kann ein guter Abverkauf zwar einer hohen Qualität geschuldet sein, muss es aber nicht. Viele Bestseller verdanken ihren Erfolg viel mehr einer geschickten Vermarktung, einem großen Werbebudget oder einem prominenten Autorennamen. Pilz war selbst öfters Opfer solcher Fehlkäufe. Sein Geduldsfaden riss auf einer Himalaya-Tour, als sich zwei von drei Reiseratgebern als untauglich erwiesen.
Zurück von der Reise, startete er das Empfehlungsportal Readgeek. Die Erstnutzung des Portals erfolgt in drei Schritten
- Nach der kostenlosen Registrierung auf der Plattform gibt der Bücherinteressent entweder eigene Buchempfehlungen ab oder er bewertet einige nach dem Zufallsprinzip vorgegebene Bücher.
- Die Software des Portals errechnet aus diesen Daten das bevorzugte Genre und das individuelle literarische Geschmacksprofil.
- Im letzten Schritt stellt die Software Empfehlungen von anderen Mitgliedern zusammen, die die Lesegewohnheiten und -vorlieben des Interessenten teilen.
Eine zuverlässige Analyse der eigenen Vorlieben für Bücher sei nach einer Bewertung von rund acht Titeln möglich, so Pilz. Für eine erste grobe Einordnung reichten aber schon drei Bücher.
Schritt 1 und 2 entfallen bei weiteren Besuchen des Portals. Rein formal können dann Buchtipps auch ohne zusätzliche Eingaben angefordert werden. Allerdings ist die Nutzergemeinde des Portals auf ständig neue Bewertungen angewiesen. Nur so ist sichergestellt, dass sowohl neue Titel Eingang finden als auch die Auswahl der empfohlenen Bücher immer treffsicherer wird. Davon profitiert auch der jeweilige Nutzer selbst. In diesem Punkt funktioniert das Portal wie jedes andere soziale Netzwerk.
Der Empfehlungsalgorithmus von Readgeek vermeidet im Gegensatz zu Bestsellerlisten eine Filterung nach Verkaufszahlen und bietet Nischenliteratur – zu der unter dem Gesichtspunkt der Verkäufe auch Lyrikbände und viele Titel der Hochliteratur zählen – die gleichen Chancen, wie Mainstream-Titeln.
Damit so ein Empfehlungskonzept funktionieren kann, muss allerdings eine ausreichende Anzahl Nutzer, die Bücherbewertungen abgeben, erreicht werden. Readgeek hat diese Hürde – nach gut zwei Jahren – durch eine kräftige Mitgliedersteigerung in den letzten Monaten überwinden können. Für Buchvorschläge stehen derzeit circa 500.000 Bücherbewertungen von rund 13.000 registrierten Nutzern zur Verfügung. Entsprechend treffsicher sind mittlerweile die Ergebnisse.
Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir mit dem Berliner Gründer Uwe Pilz über die wirtschaftlichen Aspekte seines Start-ups, u.a. seine Erfahrungen mit Providern, die finanzielle Seite seines Geschäftsmodells und seine weiteren Pläne. (Podcast: mtx/Text: ml)