In der Stadt Winterthur läuft derzeit ein umfassendes Smart-City-Vorhaben, das als vorbildlich gelten darf: offen, praktisch und durchdacht, sowohl innovations- als auch menschenfreundlich.
Winterthur stützt sich bei seinem Vorgehen auf die Ergebnisse einer Studie zum Thema Smart Cities 2035, die das Institut für Nachhaltige Entwicklung (INE) an der ZHAW School of Engineering durchgeführt hatte. Die darin abgeleiteten Handlungsempfehlungen sind es wert, im Wortlaut zitiert zu werden:
„Wichtigster Treiber auf dem Weg zu einer Smart City ist die Ressourcen- und Kosteneffizienz. Grösste Barrieren sind die fehlenden politischen Rahmenbedingungen. Als wichtigste und führende Akteurin wurde daher die Stadt genannt. Sie soll in ersten Schritten Entscheidungsträger und relevante Akteure zusammenführen, Modell- und Pilotprojekte unterstützen und die Bevölkerung miteinbeziehen.“
Eine zentrale Maßnahme ist nun ein stadtweites LoRaWAN (Long Range Wide Area Network) für IoT-Anwendungen (Internet of Things) wie Smart Parking (am Wildpark Bruderhaus), Abfallmanagement oder eine über Bewegungssensoren steuerbare Straßenbeleuchtung mit LEDs. Ein eigenes IoT-Dashboard von Hivemind soll diese und weitere Sensordaten etwa von Klimaloggern, Pegelstandsensoren oder Lärmpegelmessgeräten auf einer gemeinsamen, übergeordneten Plattform kommunal nutzbar machen. Eine OpenStreetMap-Karte zeigt alle Sensoren im praktischen Überblick, und weil das Netz auf offenen Standards basiert, ist es über Schnittstellen auch für Smart Homes und Business-Anwendungen geeignet. Bereits im Frühling 2019 soll es anlaufen. Mit dabei sind außerdem etliche Separatprojekte wie die Lastenradinitiative carvelo mit carvelo2go.
Im November 2018 ist außerdem die etwa sechsmonatige PoC-Phase eines E-Government-Konzepts ohne Medienbrüche gestartet; hier geht es um digitale Schalter beim Finanzamt und Helpdesks mit Chat, Videotelefonie oder Screensharing. Nebenbei ebenfalls beachtlich ist, dass die Bürger, Bitt- und Antragsteller in Winterthur „Kundinnen und Kunden“ heißen. Als Seitenstücke gibt es bereits den Stadtmelder, bei dem aufmerksame Bürger Fehler, Schäden und Defekte anzeigen können – und zwar mit dem Versprechen, dass sie auch behoben werden:
„Handelt es sich um kleine Störungen, beheben wir sie unter der Woche innert fünf Arbeitstagen. Bei grösseren dauert es etwas länger. Störungsmeldungen, die uns am Wochenende erreichen, bearbeiten wir am darauffolgenden Arbeitstag.“
Dabei ist das Digitalisierungsvorhaben keineswegs technikfixiert. Es geht der Kommune ausdrücklich um eine „Stärkung der Quartiere“, weshalb derzeit ein neues Kommunikationstool getestet wird: eine Quartier-App. Entwickelt haben sie die ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und die ortsansässige, auf Gemeinde-Apps spezialisierte anthrazit AG. Die Lösung ist dazu konzipiert „digitale Dorfplätze“ mit Newskanal, Foren, Pinnwänden, Veranstaltungskalender, Märkten sowie Alert-Funktionen und Push-Nachrichten zu schaffen, auf denen Nachbarschaften sich austauschen, einander kennenlernen, kontaktieren und unterstützen können, etwa durch Nachbarschaftshilfe und Sharing-Modelle. Vergleichbare Funktionen hat zuvor meist die Lokalpresse übernommen, die jedoch mehr und mehr an Bedeutung verliert. Als Pilotquartier wurde Neuhegi ausgewählt; gute Erfahrungen hat man mit der App bereits im St. Gallener Stadtteil Remishueb gemacht.
Auch auf E-Government-Seite gibt es eine Reihe von ergänzenden Projekten, die vor allem den Energieverbrauch in den Blick nehmen, etwa eine Energiedatenbank, eine Stromverbrauchsanalyse mit Blick aufs Smart Grid oder eine spielerische Energiespar-App, aber auch eine neue Abfallverwertung. Parallel dazu wird ein Grobkonzept Green IT für die kommunale Datenverarbeitung erarbeitet und – weil die Stadt Winterthur auch ein Rechenzentrum und einen Netzwerkknotenpunkt betreibt – ein energetisch optimiertes Konzept für das neue Datacenter, das voraussichtlich mit Freikühlung arbeiten wird.
Nun ist Winterthur nicht die einzige Stadt bzw. Region, die IoT-Lösungen und Smart-City-Anwendung direkt im Feld testet. Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn hat diese Praxis zum Anlass genommen, den Wert derartiger Reallabore zu untersuchen. Ergebnis ist das Whitepaper „Potenziale der Reallaborforschung für die Wirtschaftspolitik“, das besonderes Augenmerk auf den schwierigen Aspekt der Regulierung legt. Das kompakte „Denkpapier“ umfasst 14 Seiten und legt gute Überlegungen vor allem dazu dar, welche Stakeholder einbezogen werden sollten. Im Tenor warnen die Autoren vor einer übervorsichtigen Überregulierung, auch gehöre „ein bestimmtes Maß an Unsicherheit und das Risiko des Scheiterns“ zu solchen Projekten dazu – dessen sollten sich die Verantwortlichen in der Wirtschaftspolitik bewusst sein, so IfM-Präsidentin Prof. Dr. Friederike Welter.