Michael Holz und Sebastian Ptok vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn haben in einem tatsächlich denkwürdigen IfM-Denkpapier die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland genauer untersucht. Im Fokus stehen dabei Übernahmen mittelständischer Unternehmen.
Die Analyse „Chinesische Direktinvestitionen in Deutschland: Chancen und Risiken für den Mittelstand“ geht auf 19 Seiten sämtliche Vorwürfe, Klischees und Befürchtungen durch, die hierzulande fast reflexhaft die Runde machen, wenn ein chinesisch-deutsches M&A-Vorhaben ansteht, vom „Ausverkauf“ bis zur Angst vor Technologieverlust. Prototypisches Beispiel hierfür ist immer noch der zukunftsträchtige Bereich Robotik mit der Übernahme (2016) der Augsburger Kuka AG durch Midea. Hierzu der Stand der Dinge: 2019 hat KUKA einen chinesischen Großauftrag an Land gezogen.
Die Kurzfassung des Denkpapiers lautet: Wozu der Lärm? So funktioniert nun einmal Marktwirtschaft. Auch dem ersten Einwand darauf – China subventioniert seine Unternehmen! – begegnen die Autoren: Ja, so funktioniert nun einmal internationale Marktwirtschaft.
Zunächst wird festgehalten, dass die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland schwer zu beziffern sind; die Angaben reichen von 3,3 Milliarden Euro (laut Bundesbank) bis ca. 11 Milliarden Euro (laut chinesischem Handelsministerium).
„Wie hoch der Anteil des Mittelstands an den abgeschlossenen M&A-Deals ist und ob Mittelständler häufiger oder seltener als Nicht-Mittelständler ihr Unternehmen an chinesische Investoren verkaufen, lässt sich auf Grundlage der spärlichen Datenbasis derzeit nicht beantworten.“
Sicher ist aber, „dass die Bestände an Direktinvestitionen aus anderen Herkunftsländern, wie z. B. den USA, weiterhin deutlich höher liegen; ebenso die deutschen Direktinvestitionen in China.“ Dessen Ziele sind im Übrigen kein Geheimnis, sondern finden sich deutlich ausgesprochen im Strategiepapier „China Manufacturing 2025: Putting Industrial Policy Ahead of Market Forces“ (2017) der European Chamber of Commerce in China.
Konkret setzen sich Holz und Ptok mit vier „Wirkungsthesen“ auseinander:
- dass mittelständische Unternehmen unter Wert verkauft würden,
- dass Politik und Wirtschaft naiv handelten,
- dass damit die spezifisch mittelständische Unternehmenskultur bedroht sei und
- dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit durch Technologieabfluss nach China geschwächt werde.
Stärkstes Gegenargument ist dabei stets die Berufung auf die „grundlegenden marktwirtschaftlichen Prinzipien“, die auch IfM-Präsidentin Prof. Dr. Friederike Welter ins Feld führt:
„Schließlich gehört es hierzulande zur unternehmerischen Freiheit, dass Unternehmer ihr Eigentum ohne staatlichen Genehmigungsvorbehalt auch an ausländische Investoren verkaufen können.“
In der Regel steuern die chinesischen Mutterkonzerne ihre Erwerbungen durch Kennzahlen und lassen die Finger vom operativen Geschäft; die KPIs aus China dürften denen aus den USA oder Europa verblüffend ähneln. Die kulturellen Unterschiede wiederum sind ein Problem, das letzten Endes die chinesischen Käufer zu tragen haben.
Beim neuralgischen Punkt Technologie- und Wissenstransfer heben die Autoren einen wichtigen Unterschied hervor: Auf der einen Seite gibt es das „vergangenheitsbezogene, kodifizierbare und transferierbare Wissen“ (Vermögensgegenstände wie Patente, Marken etc.), auf der anderen Seite steht das Know-how „in den Köpfen der Beschäftigten“; dieses ist zukunftsbezogen, „unfassbar“ und kaum kodifizierbar. Diese fruchtbaren Fähigkeiten, dieses Wissen kann nicht ohne Weiteres „abfließen“, weil es an seine Träger gebunden ist. Die Frage hierzu lautet: Wann arbeiten deutsche Ingenieure für China? Wenn sie Arbeitsbedingungen vorfinden, die ihnen zusagen. Hierzu gehören „Wertschätzung für die Beschäftigten, Teamspirit, Identifikation mit dem Unternehmen, freier Fluss von Informationen und Wissen, konstruktive Streitkultur, Gewinnbeteiligung“ etc. Mit anderen Worten: Durch die Investitionen wird China eher westlicher, europäischer und mittelständischer:
„[D]ie chinesischen Investoren [können] Vertrauen aufbauen, indem sie ein langfristiges ‚Bekenntnis‘ zu dem erworbenen Unternehmen und den Beschäftigten aussprechen, Investitionen in Weiterbildung, Innovation und Sachkapital vornehmen sowie die Unternehmenskultur nicht gravierend verändern.“
Insgesamt warnt das Papier klar vor protektionistischen Maßnahmen, Vorsicht sei einzig dort geboten, wo unmittelbar nationale Sicherheitsinteressen berührt sind. Stattdessen raten die Autoren zu einem unbefangenen und vor allem selbstsicheren Austausch. Sie rücken dabei auch Optionen wie Joint Ventures und Lizenzverkäufe in den Blick. Von solchen Kooperationsformen könnten deutsche Unternehmen in absehbarer Zukunft profitieren:
„Die Richtung des Technologietransfers könnte sich daher in Zukunft zunehmend umkehren. Daher ist es wirtschaftspolitisch nicht ratsam, diese zukünftigen Innovationsimpulse durch eine kurzfristig denkende, protektionistische Politik zu unterbinden.“
Hoch anzurechnen ist dem Denkpapier an diesem Punkt auch die Korrelation mit der Innovationsförderung. Für die deutsche Politikpraxis der Bestandswahrung hätte man auch noch härtere Worte finden können als diese:
„Durch die Stärkung der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft kann die Politik effektiver zur Wohlstandswahrung beitragen als durch protektionistische und vermutlich vergebliche Versuche, bereits existierende Technologien staatlich zu schützen.“
Das lesenswerte China-Papier gibt es beim IfM Bonn als freies PDF zum Herunterladen.