„Ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland gerade tausende lebende Tote produzieren“, sagt Axel Oppermann, Marktanalyst bei Avispador. Er ist damit nicht allein. Allgemein wird damit gerechnet, dass Deutschland eine Insolvenzwelle droht, sobald die derzeitigen Sonderregelungen auslaufen. Das ist gesamtwirtschaftlich übel – und es ist schlimm für alle, die es in der Geschäftsführerverantwortung persönlich trifft.
Axel Oppermann hat darum für das MittelstandsWiki seine eigenen Insolvenzerfahrungen zu einem praktischen Ratgeber gebündelt: Im Interview mit der Redaktion erzählt er von seiner persönlichen Situation in dieser Zeit, von Hass, Zorn und Selbstmitleid, von Vorwürfen und Schuldzuweisungen, aber auch davon, was am Ende über den Berg geholfen hat: ein handfester Plan. Er listet außerdem auf, was im Rückblick vernünftiger gewesen wäre. Zum Beispiel einen Puffer für die Rechtsberatung einzukalkulieren. Und von Anfang an alles zu dokumentieren.
Systematisch geordnet geht Oppermann dies im Hauptbeitrag zu den Geschäftsführerstrategien in der Insolvenz an. Trotz Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz droht vielen Unternehmen der Tod auf Raten – so viel ist klar. Entsprechend lässt sich eine Insolvenz entlang der klassischen Sterbephasen beschreiben, wenn Firmenverantwortliche sich ins Unvermeidliche fügen: Nicht-wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depressionen und schließlich Zustimmung. Oppermann unterscheidet dabei sinnvoll zwischen dem Verhalten in Bezug auf die Firma einerseits und dem in Bezug auf die eigene Person andererseits. Vor allem bei (vermeidbaren) Haftungsrisiken ist diese Trennung wichtig.
Für die Praxis des Insolvenzverfahrens gibt er fünf Empfehlungen, die fast alle an mindestens einer Stelle an Punkt 3 andocken: am bereits erwähnten „eigenen Plan“. Dieser ist wichtig, weil er stringentes, konsistentes Handeln ermöglicht, außerdem ein möglichst ehrliches Narrativ, an das man sich halten kann. Voraussetzung hierfür sind freilich (Selbst-)Reflexion und absolute Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, in besonderer Form auch nach außen:
„Positionieren Sie sich als direkte Quelle für den Insolvenzverwalter. Untermauern Sie Ihr Narrativ mit Massen an Dokumenten und Unterlagen […], die Ihrem Zweck dienen. Weichen Sie nicht von der Geschichte ab. Schreiben Sie sich die Geschichte vorab auf. Lernen sie auswendig.“
Einen besonderen Schwerpunkt legt Oppermann außerdem auf die differenzierte Bewertung der immateriellen Vermögensgegenstände (Rechte, Software etc.). Das Ganze ist ausgesprochen erhellend, vor allem weil der Autor eben auf eigene Insolvenzerfahrungen zurückgreifen kann. Dabei zeigt sich Oppermann gleichwohl nicht als Vertreter einer Hit-and-run-Scheiterkultur, sondern bezieht z.B. durchaus die Mitarbeiter mit ein, deren Existenzen in der Unternehmenskrise mit drinhängen. Auch aus diesem Grund fasst er in einem eigenen Beitrag zusammen, welche Optionen und Sofortmaßnahmen es unter Umständen gibt, die drohende Insolvenz abzuwenden.
Dabei ist die erste Strategieerkenntnis: Es kann nur eine geben. Entweder bereitet man sich solide auf die Insolvenz vor – oder man steckt die letzte Energie und die letzten Mittel in Sanierung und Restrukturierung. Herzstück dieses Beitrags ist eine systematische Checkliste. Sie kann freilich nicht alle Einzelfälle abdecken, gibt aber eine gute Orientierung. Das gilt vor allem dann, wenn man als Geschäftsführer schon den Wald nicht mehr sieht, weil die Bäume immer näher rücken. Optionen wie Factoring (Forderungsverkauf) oder Finetrading hat z.B. nicht jeder auf dem Schirm.
Diesem Dreiteiler ist zu wünschen, dass er 2020/21 möglichst wenig gebraucht wird. Dort, wo er doch benötigt wird, kann er gute praktische Hilfestellung geben.
Strategien zur Insolvenz
Im aktuellen Ratgeber sagt Axel Oppermann, wie sich Geschäftsführer am besten auf eine Insolvenz gefasst machen und dabei die Firma, ihre Assets und sich selbst schützen. Er skizziert außerdem, welche Maßnahmen es gibt, um unter Umständen die Insolvenz noch einmal abzuwenden. Woher dieses Wissen kommt, erzählt er offen im Interview: aus eigener Erfahrung.