Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn arbeitet regelmäßig mit dem Volkswirtschaftlichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen e.V. (ifh Göttingen) zusammen, das z.B. auch am Round Table Mittelstand teilnimmt. Im aktuellen Policy Brief Unternehmertum im Fokus, den das IfM gemeinsam mit dem Förderkreis Gründungs-Forschung e.V. (FGF) herausgibt, zeigt die ifh-Forschungsgruppe, was sich mit der Betriebsstatistik der Handwerkskammern alles anstellen lässt.
„Das (unterschätzte) Potenzial von Handwerksrollendaten für die Gründungs-und Mittelstandsforschung“ ist die aktuelle Ausgabe 2/2021 betitelt. Tatsächlich verfügt der Zentralverband des Deutschen Handwerks über feingranulare und statistisch geradezu rekordaktuelle Kammerverzeichnisse. Sie geben genaue Auskunft darüber, wer wann und wo welches Handwerk ausübt, dazu sein Alter und ob er am Ende nicht sogar eine Frau ist. Aggregiert findet man die Daten im ZDH-Statistikportal. Das Kurzpapier demonstriert den Wert dieser Handwerksrollendaten anhand von drei Forschungsbeispielen die schwerpunktmäßig das sächsische Handwerk zum Gegenstand haben.
Das erste Beispiel geht zurück auf die Handwerksrechtsnovelle 2004. Hier können die Rollendaten Antworten auf die wiederholt gestellte Frage „Was hat’s gebracht?“ geben. Das ifh-Team kann den bisherigen Befund bestätigen:¹ eine erhöhte Betriebsdynamik. Mit anderen Worten: Dereguliertes Handwerk führt zu einem regelrechten Gründungsboom – aber auch zu mehr Geschäftsaufgaben, wirbelt also den Markt ordentlich durcheinander.
Am ifh ist außerdem im Rahmen eines Kooperationsprojekts die große Struktur- und Potenzialanalyse zum Handwerk in Sachsen² entstanden, die sich gleichfalls stark auf die Unternehmensverzeichnisse der Handwerkskammern stützt. Sie zeigt – neben weiteren bemerkenswerten Erkenntnissen –, dass sich anhand dieser Daten die regionale Verteilung ausgezeichnet abbilden lässt.
„Ein Beispiel dafür ist das ‚sächsische Handwerksband‘, das vom Vogtland aus südlich von Chemnitz über das Erzgebirge bis südlich von Dresden verläuft und von dort aus östlich nach Norden bis an die Landesgrenze sowie die Gemeinden um die Städte Chemnitz, Dresden und Leipzig.“
Das reicht so weit, dass sich auch branchenspezifische Cluster mit kleinräumlich hoher Betriebsdichte identifizieren bzw. bestätigen lassen. Im Falle Sachsens sind das Gesundheit (Südwestsachsen), Metall (Erzgebirge und Raum Dresden), Kunst & Kreativ (im sächsischen Handwerksband, speziell Meißen), Holz (Erzgebirge), Textil (Vogtland, Erzgebirge bis Chemnitz, Lausitz) und Musikinstrumente (Vogtland).
Weil die Handwerksrollendaten außerdem aktuell gehalten werden, eignen sie sich nicht zuletzt ausgezeichnet für fortlaufende Monitoring-Untersuchungen, wie das dritte Beispiel³ zeigt, in dem Katarzyna Haverkamp und Kollegen anhand der Ein- und Austragungen in die Handwerksrollen 2007–2020 die Effekte der Corona-Krise wochengenau nachzeichnen. Daraus ergibt sich, dass die Pandemie zwar deutliche Auswirkungen auf das Gründungsgeschehen hat, dass die geringere Zahl an Eintragungen 2020 wohl aber in erster Linie auf die nahezu zeitgleiche Novellierung der Handwerksordnung zum 14. Februar zurückgeht. Das Fazit:
„Bislang zeigt sich das Handwerk demnach als weitgehend robust im Hinblick auf die Folgen der Corona-Krise.“
Tatsächlich geht aus der parallelen ifh-Forschung hervor, dass das Handwerk vielmehr als positiver Resilienzfaktor und Stabilisator wirken dürfte, da kleinbetriebliche Wirtschaftsstrukturen bislang tendenziell besser durch die Krise kommen als Regionen mit Großbetrieben.
Das Übersichtspapier gibt es sowohl beim IfM Bonn als auch beim FGF kostenfrei als PDF zum Herunterladen.
1 Petrik Runst et al.: A replication of ‘Entry regulation and entrepreneurship: a natural experiment in German craftsmanship’. In: Empirical Economics 6 (2019), S. 2225–2252.
2 Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (Hrsg.): Das Sächsische Handwerk 2019. Struktur- und Potentialanalyse. Dresden 2019.
3 Katarzyna Haverkamp, Petrik Runst, Till Proeger: Das resiliente Handwerk? Sektorale Betriebsdynamik zwischen Corona-Krise und Rückvermeisterung. In: Wirtschaftsdienst (im Erscheinen).