Zwischen Ausbildung und Arbeitsleistung
Von der Fachredaktion anwalt.de
Viele Unternehmen, auch aus dem Mittelstand, bieten jungen Leuten mit oder ohne Berufsabschluss für ihren Berufseinstieg die Möglichkeiten von Praktikum, Volontariat oder ein Trainee-Programm an. Doch welches Gehalt ist für die Praktikanten das richtige? Die Frage ist nicht nur eine der Angemessenheit, sondern kann sich als juristischer Fallstrick erweisen. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass die Grenze zum rechtswidrigen Lohnwucher schneller überschritten ist, als Unternehmer im Tagesgeschäft ahnen.
Welche Entlohnung angemessen ist
Die Vereinbarung von Billiglöhnen, die der erbrachten Arbeitsleistung nicht entsprechen, ist gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig. Liegen die Voraussetzungen für Lohnwucher vor, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf angemessene Entlohnung.
Auch im Rahmen eines Praktikums ist grundsätzlich gemäß § 17 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) ein angemessener Lohn zu zahlen.
Welches Gehalt ein Praktikant erhält, richtet sich nach der Tätigkeit, die er konkret ausübt. Erfüllt ein Praktikant im Betrieb Aufgaben eines Arbeitnehmers, so muss er auch entsprechend einem Arbeitnehmer vergütet werden.
Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) gilt nur für Praktika und andere Ausbildungsverhältnisse, die nicht integraler Bestandteil einer Berufsausbildung, Fachhochschul- und Hochschulausbildung sind. Ist das Praktikum in die schulische Ausbildung jedoch integriert und z.B. Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung, so haben die Praktikanten in diesen Fällen weder einen Anspruch auf Lohn, noch auf Kündigungsschutz und auch keinen Anspruch auf Urlaub. Das Gleiche gilt für Schulpraktika.
Dies gilt unabhängig davon, ob das Beschäftigungsverhältnis im Arbeitsvertrag als „Praktikum“ etc. bezeichnet ist. Denn ein Praktikum oder ein Ausbildungsverhältnis wie Volontariat oder Trainee-Programm liegt nur vor, wenn bei dem Beschäftigungsverhältnis auch tatsächlich die Ausbildung im Vordergrund steht.
Ausnahme: Einfühlungsverhältnis
Das Praktikum soll in erster Linie dazu dienen, dass der junge Mensch erste praktische Erfahrungen macht. Es geht darum, welche Kenntnisse und Fähigkeiten er für seinen Beruf erlernen und mitbringen muss. Nur wenn der Schwerpunkt auch tatsächlich auf der Ausbildung liegt, ist ein geringeres Ausbildungsgehalt gerechtfertigt.
Ein unentgeltliches Praktikum ist nur ganz ausnahmsweise zulässig, wenn es sich bei der Tätigkeit lediglich um ein so genanntes „Einfühlungsverhältnis“ handelt, das höchstens sechs Monate unentgeltlich laufen darf. Es ist in etwa mit der Probezeit eines Arbeitsverhältnisses vergleichbar. Hier prüfen die Vertragsparteien zunächst, ob sie sich fest binden wollen. Wichtig: Im Rahmen des Einfühlungsverhältnisses ist der Einfühlende nicht verpflichtet, eine bestimmte Leistung zu erbringen und auch nicht an die Weisungen des Arbeitgebers gebunden.
Tatsächlich wie ein Arbeitnehmer
Anders liegt der Fall, wenn nur zum Schein ein Praktikumsvertrag geschlossen wird und der Betroffene tatsächlich als Arbeitnehmer Arbeitsleistungen für das Unternehmen erbringt. Als Indizien für ein Arbeitsverhältnis werten die Arbeitsgerichte z.B. die Vereinbarung einer Probezeit, eine reguläre und betriebsübliche Arbeitszeit und ein deutlich über eine bloße Aufwandsentschädigung hinausgehendes Gehalt.
Lohnwucher gemäß § 138 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und auf Arbeitgeberseite darüber hinaus noch die Ausbeutung einer Zwangslage, einer erheblichen Willensschwäche oder der Unerfahrenheit anzunehmen ist, z.B. wenn der Arbeitnehmer erhebliche Leistungen unentgeltlich erbringt.
Für die Beurteilung, ob das Gehalt der Arbeitsleistung angemessen ist, wird das übliche Gehalt in der vergleichbaren Branche herangezogen. Ist sie überwiegend tarifgebunden, so ist der Tariflohn ausschlaggebend. Bei Wirtschaftskreisen, in denen nur selten Tarifverträge gelten, ist das allgemeine Lohnniveau entscheidend. Das Bundesarbeitsgericht bejaht Lohnwucher, wenn der Lohn das übliche Lohnniveau um zwei Drittel unterschreitet (Az.: 5 AZR 527/99). Kommen weitere Umstände hinzu, kann Lohnwucher auch schon bei einem Gehalt von drei Vierteln des üblichen Entgelts vorliegen.
Anfang 2008 hatte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg über die Gehaltshöhe für eine als Praktikantin angestellte Diplomingenieurin zu entscheiden (Az.: 5 Sa 45/07), die unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeitszeit lediglich einen Stundenlohn von 2,46 Euro (375 Euro brutto monatlich) erhielt, obwohl sie in Vollzeit als Arbeitnehmerin im Betrieb tätig war und auch entsprechende Arbeitsleitungen erbracht hatte. Die Stuttgarter Richter gaben der Frau Recht: Weil sie im Rahmen ihres sechsmonatigen Praktikums nur in einer Abteilung des Unternehmens tätig und weisungsgebunden war, wertete das Gericht dies als Indiz, dass bei ihrer Tätigkeit die Ausbildung nicht im Vordergrund stand. Also war sie als Arbeitnehmerin tätig und konnte ein Monatsgehalt in Höhe von 1522,50 Euro brutto beanspruchen, vergleichbar mit dem Regelgehalt eines Sachbearbeiters.
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Fazit: Leistungsklagen vorbeugen
Sind die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB erfüllt und liegt mithin eine sittenwidrige Vergütungsvereinbarung vor, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, gegen den Wucherlohn mit einer Leistungsklage vorzugehen und auf reguläre Entlohnung gemäß § 612 BGB zu klagen. Darüber hinaus kann das Arbeitsgericht das Bestehen eines regulären Arbeitsverhältnisses feststellen.
Auf Seiten des Arbeitgebers kommt neben den arbeitsrechtlichen Folgen auch eine Strafbarkeit wegen Wucher nach § 291 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht.