Bevor sich die Belegschaft kaputtzankt
Von Lisa Reisch
Der Aufwand, den Unternehmen bei der Anwerbung von qualifizierten Fachkräften, bei der Personalauswahl sowie bei der Aus- und Weiterbildung betreiben, ist beträchtlich. Doch wenn der Mitarbeiter eines Tages kollabiert, gilt das als Privatkram – zu Unrecht. Tatsächlich ist Mobbing ein Problem, das wie ein Krebs am gesamten Unternehmen frisst. Wer zulässt, dass seine Leute in die Arbeitsunfähigkeit schikaniert werden, macht sich nicht nur menschlich und juristisch angreifbar, sondern verschenkt schlicht Investitionen.
Wo gemobbt wird, ist das Betriebsklima in Schräglage geraten. Die Produktivität sinkt, Krankmeldungen nehmen zu und die Mobbing-Opfer selbst tragen unter Umständen dauerhafte psychische Schäden davon.
Der Arbeitgeber ist in solchen Fällen mit seinen Führungsqualitäten gefordert, denn falls er nicht reagiert, verletzt er seine Sorgfaltspflicht den Mitarbeitern gegenüber. Und das kann teuer werden, denn im Extremfall muss er Schadensersatz oder Schmerzensgeld bezahlen. Auch wenn er selbst gar nicht gemobbt hat.
Angriff auf Außenseiter
Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz benutzte als erster das Wort „Mobbing“, um den gemeinschaftlichen Angriff mehrerer Tiere auf einen Außenseiter zu beschreiben. In der Arbeitswelt wird der Begriff benutzt, wenn ein Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum schikaniert, angegriffen, ausgegrenzt und benachteiligt wird.
Mobbing-Opfer geraten in einen fatalen Zustand: Jeder neue Arbeitstag wird zur Qual – schon deshalb steigt die Bereitschaft, sich krank zu melden. Die ständige Demontage und Verunsicherung führt auch zu psychosomatischen, durch Stress verursachten Krankheitssymptomen. Für Unternehmer ist daher allein schon aus betriebswirtschaftlichen ebenso wie aus humanen Gründen empfehlenswert, Mobbing im Unternehmen zu unterbinden.
Natürlich gibt es auch viele Fälle, in denen sich Arbeitnehmer gemobbt fühlen, obwohl sie es mit zumutbarem, beruflichen Ärger zu tun haben. Um normale Konflikte und Mobbing besser unterscheiden zu können, hat der Arbeitspsychologe Heinz Leymann einen Katalog von 45 Mobbing-Handlungen aufgestellt. Mobbing ist nach seiner Definition dann erfüllt, wenn
- mindestens einmal in der Woche
- über den Zeitraum eines halben Jahres hinweg
- mindestens eine der genannten Handlungen stattfindet – und wenn sie
- absichtlich erfolgt, mit dem Ziel, dem Opfer zu schaden.
Mobbing-Opfern wird deshalb empfohlen, ein Tagebuch zu führen. Der Hauptunterschied zwischen Mobbing und einem gewöhnlichen Konflikt ist jedoch die Machtverteilung. Nur wenn es im Konflikt einen von vornherein Unterlegenen gibt, handelt es sich um einen ungleichen Kampf und damit möglicherweise um Mobbing.
Rechtslage
Als Arbeitgeber sind Sie gesetzlich verpflichtet, auf das Persönlichkeitsrecht, die Gesundheit und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen – allerdings eher grundsätzlich und allgemein; ein spezielles Anti-Mobbing-Gesetz gibt es in Deutschland nicht, auch eine EU-Richtlinie hierzu steht noch aus. Dennoch: Falls Sie Ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkommen, kann das zu Schadensersatz- und anderen Rechtsansprüchen des Mobbing-Opfers führen.
Mobbing-Paragraphen
- § 823 BGB Schadensersatzpflicht: „(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“
- § 278 BGB Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte: „Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. […]“
Urteile
Die Gerichtsurteile zu Mobbing-Fällen sind zwar teilweise sehr widersprüchlich, doch häufig erhielten Mobbing-Opfer Entschädigungen im fünfstelligen Eurobereich. Das Landesarbeitsgericht Thüringen hat bei einem Urteil im April 2001 in zehn Leitsätzen zusammengefasst, wie Mobbing rechtlich beurteilt werden soll. Im ersten Leitsatz wird klar, dass der Arbeitgeber
- „als Störer nicht nur dann in Anspruch genommen werden [kann], wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen wird.“
Mögliche Konsequenzen vor Gericht: Schmerzensgeld, Schadensersatz, Lohnfortzahlungen.
Umgekehrt kann aber auch der Rausschmiss eines Mobbers vor dem Arbeitsgericht enden. Wann welches Verhalten eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, stellt das Ladesarbeitsgericht Thüringen in einem Urteil vom Februar 2000 klar.
Gleichbehandlung
Das seit August 2006 gültige Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Arbeitnehmer, die besonders der Gefahr der Diskriminierung ausgesetzt sind. Betroffen sind zum Beispiel Frauen, Ausländer, Behinderte und Angehörige besonderer Religionen und Altersgruppen. Jede Benachteiligung am Arbeitsplatz, beginnend bei der Stellenausschreibung gibt potenziell benachteiligten Arbeitnehmern Rechtsmittel in die Hand. Tatsächlich ist Diskriminierung sehr häufig der erste Schritt zum Mobbing. Arbeitgeber sollten deshalb besonders darauf achten, dass Mitarbeiter in schwächeren Positionen auch sozial integriert werden.
Handlungsmöglichkeiten
Kommt es in Ihrem Unternehmen zu Verdachtsfällen von Mobbing, sollten Sie zunächst Einzelgespräche mit allen Beteiligten führen. Dabei geht es um die Klärung der Fakten:
- Wie ist der Konflikt entstanden und wie lange existiert er schon?
- Wie stellt sich der Konflikt dar?
- Wer sind die Beteiligten?
- In welchem hierarchischen Verhältnis stehen sie zueinander?
Versuchen Sie, unparteiisch und sachlich zu bleiben, damit Sie ein möglichst klares, neutrales Bild der Lage erhalten. Wenn sich aus den Einzelgesprächen ein Verdacht auf einen bestimmten Mitarbeiter ergibt, führen Sie mit ihm ein weiteres Gespräch. Erhärtet sich dabei der Verdacht, sollten Sie ihn auffordern, bestimmte Handlungen zu unterlassen, und ihn – je nachdem, wie gravierend sein Verhalten ist – warnen, abmahnen oder kündigen.
Mediation
Ergeben die Einzelgespräche kein klares Bild, sollten Sie alle Beteiligten an den runden Tisch holen und versuchen, gemeinsam eine Lösung für den Konflikt zu erarbeiten. Auch wenn das nicht auf Anhieb gelingt, bringt es möglicherweise die Beteiligten zur Besinnung. Hält das Problem weiter an oder sind Sie gar selbst in den Konflikt verwickelt, kann es sich lohnen, einen neutralen Mediator zu beauftragen.
Oft schwelen jedoch Konflikte, die gar nicht bis zum Arbeitgeber durchdringen. Das allgemeine Betriebsklima ist ein guter Indikator für beginnende oder bereits bestehende Probleme im Unternehmen:
- Behandelt der Flurfunk häufig gerade abwesende Personen?
- Werden Pausenräume wenig genutzt?
- Lassen gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Firma spürbar nach?
- Häufen sich die Beschwerden einzelner Mitarbeiter?
All das können Anzeichen für unterschwelliges oder beginnendes Mobbing sein.
Vorbeugende Maßnahmen
Die Wurzel des Übels sind meist unzufriedene Mitarbeiter. Das zeigt eine Studie der Sozialforschungsstelle Dortmund: Ein schlechtes Betriebsklima ist ein üppiger Nährboden für Mobbing. Unklare Verantwortungsbereiche und ungeklärte Organisationsstrukturen sorgen für Rangeleien und Missverständnisse. Hinzu kommt, dass es bei schwammigen Rahmenbedingungen leichter ist, Fehler zu vertuschen und abzuwälzen. Die mögliche Folge: Schuldzuweisungen wie im Kindergarten.
Mangelnde Transparenz bei Veränderungen in der Organisation, z.B. im Falle von Umstrukturierungen oder Wachstumsvorhaben, schüren zusätzlich das Feuer der Gerüchteküche und die Ängste der Mitarbeiter. Zwei weitere Führungsfehler, die sich leicht vermeiden lassen: Entscheidungen werden nicht begründet und Ziele nicht ausdrücklich formuliert. Die Dortmunder Studie kommt auch zu dem Ergebnis, dass Vorgesetzte die Ursache von Querelen häufig in der Persönlichkeitsstruktur ihrer Mitarbeiter vermuten – in Wahrheit liegt sie jedoch meistens an strukturellen Mängeln in der Organisation und der Kommunikation des Betriebes.
Ein ebenso heißes Eisen ist Kritik. Für jeden schwer zu ertragen, aber notwendig. Geht der Unternehmer mit gutem Beispiel voran, lässt er Kritik zu und geht konstruktiv damit um, trägt er viel zu einem angenehmen Klima bei. Er tut auch gut daran, kleine Anzeichen von Mobbing zu beachten und klar zu stellen, dass ein solches Verhalten in seinem Unternehmen unerwünscht ist.
Fazit: Personalschäden konsequent unterbinden
Mobbing schadet den Mitarbeitern – und zwar letztlich allen. Mobbing greift daher auch das Unternehmen in seiner Gesamtheit an. Lassen Sie nicht zu, dass die Produktivität Ihrer Firma und die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter leiden. Wenn Sie kleine Anzeichen frühzeitig erkennen, können Sie verhindern, dass Konflikte eskalieren und qualifizierte Mitarbeiter, die Sie mit Sorgfalt ausgesucht haben, mutwillig an die Wand gespielt werden.