Vom Luxusgut zum Massendienst
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Wenn die Telekommunikation insgesamt ein Wachstumsmarkt ist, der in den letzten Jahrzehnten stark von technologischen Fortschritten profitiert hat, dann gilt ganz besonders für den Mobilfunk: Seit 1992 blickt er auf ein beeindruckendes Wachstum von 1 auf über 100 % Penetration zurück. Wichtige Voraussetzungen dafür waren die Entwicklung und die weltweite Standardisierung von GSM, die Integrationsdichte auf den Chipsets und die steigende Leistung der Akkumulatoren.
Die ersten Netze
Die ersten digitalen Mobilfunknetze wurden von T-Mobile und Vodafone (damals Mannesmann Mobilfunk) eröffnet und arbeiteten nach dem GSM-Standard. Die anderen beiden Mobilfunkbetreiber e-plus und O₂ kamen 1994 bzw. 1998 als weitere Anbieter hinzu, mit Diensten auf der Basis von DCS 1800.
Die auch übliche Bezeichnung „D-Netze“ steht nicht für „digital“, sondern signalisiert, dass es sich um die vierte Generation öffentlicher Mobilfunknetze in Deutschland handelt. Vorangegangen waren die A-, B- und C-Netze. Diese Netze arbeiteten analog und waren auf Deutschland begrenzt. Andere Länder hatten andere Standards für ihre analogen Netze umgesetzt (z.B. AMPS, TACS), die nicht mit der deutschen Lösung kompatibel waren. (Immerhin bot das C-Netz dem Kunden schon die Möglichkeit des Selbstwahldienstes statt der Vermittlung über den Netzbetreiber.)
Die Kundenzahlen in den GSM-Netzen waren am Anfang noch bescheiden und steigerten die Anzahl der Nutzer im analogen C-Netz mit damals stolzen ca. 200.000 Teilnehmern im Jahr 1991 nur langsam. Den Spitzenwert erreichte das C-Netz 1993 mit über 800.000 Teilnehmern; in der Folge nahmen die Zahlen dann aufgrund der Substitution durch die D-Netze wieder stetig ab, bis zur endgültigen Abschaltung im Jahr 2000.
Im Laufe der Jahre wuchsen die Teilnehmerzahlen dann allerdings beständig. Kaum jemand hätte damals allerdings vorhersagen können, dass sich innerhalb von 15 Jahren die Anzahl der Mobilfunkkarten mit über 80 Mio. mehr als verhundertfachen würde. Vorsichtige Planungen prognostizierten für 1998 knapp 2 Mio. Teilnehmer in den D-Netzen – tatsächlich waren es 1998 bereits knapp 14 Mio., also sieben Mal so viel wie in der Planung unterstellt.
Das Handy-Wunder
Ein treibender Faktor für das Wachstum war neben den sinkenden Preisen für die Gespräche die sichere Versorgung mit zunehmend mehr unterschiedlichen Mobilfunkgeräten, die bis heute immer kleiner geworden sind. Durch die Subvention der Geräte bis zu Preisen von 1 Euro bei Abschluss eines neuen Vertrages (anstatt der tatsächlichen Kosten in Höhe von einigen hundert Euro) wurde die Eintrittsbarriere deutlich abgesenkt. Dies hat dem Absatz einen kräftigen Schub gegeben.
Ein anderer Wachstumstreiber war die Prepaid-Karten-Lösung, die einige Jahre nach Marktstart 1997 als Alternative zu den Vertragsangeboten eingeführt wurde. Nach einem starken Anstieg auf bis 55 % im Jahr 2000 ist der Anteil der Prepaid-Karten wieder leicht rückläufig; beide Produkte haben derzeit etwa 50 % Marktanteil.
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass heute über 93 % aller Jugendlichen im Alter von 13 bis 20 Jahren mindestens ein Handy nutzen. Dabei galt die Technik anfangs und noch bis Mitte der 90er-Jahre als ein teuer und elitär. Nur wenige Produkte schaffen ein ähnlich eindrucksvolles Wachstum! Gleichzeitig sind natürlich die monatlichen Durchschnittsumsätze (ARPU) auf weit unter die Hälfte des damaligen Wertes gefallen, und die ist Churnrate deutlich gestiegen, so dass die meisten Anbieter bevorzugt 24-Monatsverträge vermarkten.
Unterstützt durch diese Wachstumstreiber und die zunehmende Flächendeckung in der Netzversorgung ist die Teilnehmerzahl nach 15 Jahren auf über 60 Mio. angestiegen, die durch Mehrfachverträge über 80 Mio. Mobilfunkkarten nutzen. Ein derartiges Wachstum war zu Beginn selbst unter optimistischen Annahmen nicht vorherzusehen. Im Vergleich dazu brachte die Einführung der UMTS-Netze, für die die Betreiber zusammen fast 50 Mrd. Euro an Lizenzgebühren gezahlt haben, nur wenig zusätzlichen Schub im Hinblick auf Teilnehmerzahlen, und „Killerapplikationen“ für die UMTS-Netze sind immer noch nicht in Sicht. Weder haben sich Multimedia-Nachrichten (MMS) gegenüber den erfolgreichen SMS durchsetzen können, noch konnte mobiles Fernsehen wesentliche Nutzerzahlen erzielen.
Was Anwender wollen
Es wird weiter interessant bleiben, wie sich der Mobilfunkmarkt in den nächsten Jahren verändern und entwickeln wird. Neue Geschäftsmodelle wie z.B. der Service Provider (seit 1991) oder der MVNO (seit 2004) sind entstanden, haben das Angebot verbreitert und durch die Kräfte des Wettbewerbs zu niedrigeren Preisen geführt. Nach Jahren komplizierter Tarifstrukturen haben insbesondere die Discount-MVNOs mit ihren auf die Basisanwendungen reduzierten „No-Frills“-Produkten zu einer deutlichen Vereinfachung und zu einer signifikanten Preisreduktion geführt. Der Erfolg der MVNO-Geschäftsmodelle wird sicher auch vom Wunsch der überwiegenden Mehrzahl der Nutzer getragen, die mit ihrem Handy in erster Linie mobil telefonieren oder via SMS kommunizieren wollen.
So ist auch die Aufrüstung der Geräte mit immer mehr Funktionen von fraglichem Vorteil. Ein Mobiltelefon für die reine Sprachkommunikation sollte möglichst klein und leicht sein, mit einfacher Bedienung und langer Akkulaufzeit. Ein Gerät für mobile Datenkommunikation braucht ein größeres Display und eine richtige Tastatur. Für MP3 und die Nutzung als digitale Kamera werden ein großer Speicher und eine einfache Benutzeroberfläche von Vorteil sein. Daher wird es in Zukunft vermutlich für die unterschiedlichen Anwendungen eher mehrere unterschiedliche Geräte geben als das ein einziges hochintegriertes.
Die Mobilfunkpreise sind im letzten Jahrzehnt so weit gefallen, dass viele Kunden mittlerweile ganz auf einen Festnetzanschluss verzichten und ihre gesamte Sprachkommunikation übers Handy abwickeln. Zu Beginn lagen die Monatsgrundpreise bei 35 Euro und die Gesprächspreise bei 73 Cent pro Minute – heute sind 13 Centz pro Minute schon nichts Besonderes mehr. Flatrate-Tarife geben zusätzliche Sicherheit bei der Kontrolle des Telekommunikationsbudgets. Die Europäische Kommission hat schließlich veranlasst, dassab 2007 auch die Mobilfunkgespräche im Ausland (Roaming-Gespräche) endlich deutlich billiger werden. Weitere große Preisreduzierungen sind derzeit allerdings nicht abzusehen.
Aus Anwendersicht dürfte der barrierefreie Übergang in der Nutzung (Seamless Communication) zwischen Mobilfunk, WLAN und WiMAX weitere Vorteile bringen. Mit den Standards UMA und IMS werden der universelle Mobilzugang zu den verschiedenen Netzen mit einem einzigen Mobilfunkgerät ermöglicht sowie die durchgängige Nutzung von Anwendungen über verschiedene Übertragungswege. Für den Anwender ist die Entscheidung für das tatsächlich genutzte Zugangsnetz nur dann von Bedeutung, wenn damit andere Kosten verbunden sind.
Wie es weitergeht
Mit dem Abflachen der Wachstumskurve hat sich der Mobilfunkmarkt längst in Richtung eines Verdrängungswettbewerbs verändert, in dem nicht nur kapitalstarke Anbieter Chancen haben bzw. Anbieter mit hohen Kundenzahlen Vorteile durch niedrigere Erstellungskosten realisieren können, sondern auch Anbieter mit innovativen Produkten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine technische Neuerung erst dann zur Innovation wird, wenn sie einen signifikanten Nutzen für die Anwender in der Zielgruppe gibt. Bei SMS ist dies gelungen. (Allerdings ohne dass es anfangs in diesem Umfang abzusehen gewesen wäre.) MMS ist jedoch ein Beispiel dafür, dass die Akzeptanz neuer Anwendungen keineswegs selbstverständlich ist.
In Verbindung mit der Konvergenz der Dienste wird der Mobilfunk sicher eine treibende Rolle einnehmen, da die Mobilität in der Kommunikation zu einem Grundbedürfnis der Gesellschaft geworden ist. Konvergenz, d.h. die Verbindung der verschiedenen Übertragungstechniken auf IP-Basis, kann für die weitere Entwicklung der Telekommunikationsdienste bestimmend werden. Der Gesamtbereich der mobilen Datenkommunikation gehört mit Sicherheit zu den zukünftigen Wachstumssegmenten. Bei der Umsetzung kann neben den etablierten Netzbetreibern der „enhanced“ MVNO eine wichtige Rolle einnehmen. Bei diesem Geschäftsmodell betreibt der MVNO sein eigenes Kernnetz mit allen wichtigen Komponenten (Vermittlungsrechner, Diensteplattform, Billing-System, Home Location Register/HLR) und verbindet es mit verschiedenen Anschlussnetzen.
Bislang ist zwar noch kein Anbieter nach diesem Modell auf dem Markt, aber das kann sich natürlich noch ändern. Es gibt schließlich keinen Grund, dass die die Entwicklung im Mobilfunk in den kommenden Jahren an Dynamik verlieren müsste.