AGG im Arbeitsrecht

Beweisen, dass nichts war, ist schwer

Von der Fachredaktion anwalt.de

Kaum ein Gesetz hat Politik, Medien und Unternehmerstammtische so erregt, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Tatsächlich ist nur schwer abzuschätzen, welcher Aufwand mit Stellenanzeigen, Bewerberdaten und Gesprächsprotokollen seit Inkrafttreten am 18. August 2006 in den Unternehmen nötig war. Immerhin hat sich die Lage bei den Arbeitsgerichten nicht wesentlich verschlechtert. Die von vielen befürchtete Prozesslawine ist ausgeblieben.

Fachleute verwundert dies nicht. Schließlich galt der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 3 Grundgesetz nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits vorher auch für die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. (Darüber hinaus bestanden schon vorher gesetzliche Diskriminierungsverbote, wie z.B. die §§ 611a, 611b, 612 Abs. 3 BGB, deren Benachteiligungsverbote nun im AGG verankert sind.)

Serie: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Teil 1 stellt die Pro­ble­matik im Kern­bereich Arbeits­recht dar. Eine erste Prozess-Statistik gibt vor­läufig Entwarnung. Teil 2 widmet sich den AGG-Aus­wirkungen im Zivil­recht und sagt, was bei Miet­ver­hältnissen, Ver­sicherungen und im Online-Handel gilt. Teil 3 gibt praktische Tipps für den Um­gang mit Stel­len­be­werbern. Weitere Extrabeiträge erklären, wo die Gleichbehandlung bei einer Kündigung zu beachten ist, und schildern den Fall einer erfolgreichen Klage gegen Lohndiskriminierung.

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg legte als Erstes Zahlen zu Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes vor: Vom Start am 18. August 2006 bis zum 18. April 2007 gingen insgesamt 109 AGG-Verfahren ein; das sind lediglich 0,3 % der insgesamt erstinstanzlich eingegangenen Klagen bei den Arbeitsgerichten.

Am häufigsten wurde mit 36 % eine Benachteiligung aufgrund des Alters geltend gemacht, gefolgt von Geschlecht (28 %), Behinderung (18 %) und ethnischer Herkunft (11 %). Bemerkenswert ist, dass zahlreiche Diskriminierungen in Zusammenhang mit einer Bewerbung (Stellenausschreibung und Vorstellungsgespräch) eingingen (38 %), 36 % in Verbindung mit einer Kündigung und nur 26 % bezüglich eines bestehenden Arbeitsverhältnisses. 75 % der Betroffenen machten einen Entschädigungsanspruch oder Schadensersatz geltend.

Benachteiligungsverbote

Gemäß § 1 AGG darf niemand wegen seiner „Rasse“ bzw. ethnischer Herkunft, wegen seinem Geschlecht, seiner Religion und Weltanschauung, wegen seiner Behinderung und seiner sexuellen Identität benachteiligt werden. Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wurde außerdem ein Benachteiligungsverbot für das Alter in einem Gesetz verankert.

Im Arbeitsrecht zählen zu dem geschützten Personenkreis neben Auszubildenden, Praktikanten, Arbeitnehmern, arbeitnehmerähnlichen Personen (z.B. Heimarbeitern) und ehemalig Beschäftigten nun erstmals auch Stellenbewerber, Organmitglieder (Vorstand, Geschäftsführer etc.) und sogar freie Mitarbeiter.

Arten der Diskriminierung

§ 3 AGG verbietet verschiedene Diskriminierungsformen: unmittelbare und mittelbare Benachteiligung, Belästigung, sexuelle Belästigung und die Anweisung zur Benachteiligung.

  • Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn der Betroffene eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in vergleichbarer Situation, wobei die Behandlung durch Tun, Unterlassen oder auch schriftlich erfolgen kann. (Beispiele wären gestaffeltes Gehalt nach Lebensalter oder eine Sekretariatsstellenausschreibung nur für Frauen.)
  • Bei der mittelbaren Benachteiligung liegen auf den ersten Blick neutrale Kriterien vor, die vorgeschoben werden, obwohl die Diskriminierung tatsächlich auf anderen Gründen beruht. (Klassisches Beispiel ist hier das Kopftuchverbot für Mitarbeiter.)

Rechtfertigung und gute Gründe

Das Antidiskriminierungsgesetz verbietet allerdings nur Ungleichbehandlungen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind. Im AGG finden sich daher ausdrücklich geregelte Rechtfertigungsgründe für unmittelbare und mittelbare Benachteiligung. So ist eine unmittelbare Ungleichbehandlung z.B. dann gerechtfertigt, wenn sie ein Merkmal verlangt, das eine wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderung darstellt. (Beispiel: Ein männliches Model eignet sich nicht für die Präsentation von Damenmode.)

§ 10 AGG enthält z.B. Rechtfertigungsgründe für eine Benachteiligung aufgrund des Alters. Danach sind die altersmäßige Staffelung des Urlaubsanspruchs, die Festsetzung von Altersgrenzen in Hinblick auf die Beendigung wegen Altersrente und ein Höchstalter für die Einstellung wegen spezieller Arbeitsplatzanforderungen zulässig.

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Rechtsfolgen eines Verstoßes

Liegt ein Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz vor, hat der Betroffene gegenüber dem Arbeitgeber nach § 15 AGG einen Schadensersatzanspruch (bei Vermögensschäden) und unter Umständen auch einen Schmerzensgeldanspruch (bei immateriellen Schäden). So kann etwa wegen Nichteinstellung ein Ersatzanspruch von bis zu drei Monatsgehältern verlangt werden (§ 15 Abs. 2 AGG). Wichtig bleibt hier: Dem Benachteiligten steht allerdings kein Anspruch auf Einstellung, Wiedereinstellung oder Beförderung zu.

Auch wenn Kollegen oder Betriebsfremde gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen haben, müssen Sie als Arbeitgeber nach den Grundsätzen des Organisationsverschuldens dafür einstehen, falls Sie keine Maßnahmen zum Schutz vor Ungleichbehandlung getroffen haben. Eine Ausnahme gilt jedoch in Hinblick auf den erwähnten Schmerzensgeldanspruch; hier scheidet die Arbeitgeberhaftung aus, wenn ein Dritter die Diskriminierung zu vertreten und Sie als Arbeitgeber seine gesetzlichen Verpflichtungen nach dem Antidiskriminierungsgesetz erfüllt hat.

Bei Diskriminierung durch Belästigung oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hat die/der Betroffene zudem gemäß § 14 AGG ein Leistungsverweigerungsrecht, falls der Arbeitgeber keine oder nur ungeeignete Maßnahmen ergreift.

Zwei Monate plus Klagefrist

Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot müssen gemäß § 15 Abs. 4 AGG binnen zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden – es sei denn, im Tarifvertrag ist eine andere Frist vereinbart. Danach hat der Betroffene dann drei Monate Zeit, Klage beim Arbeitsgericht einzureichen, § 61b Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).

Im Rechtsstreit muss zunächst der Arbeitnehmer Tatsachen bezüglich der vermutlichen Benachteiligung vortragen und nachweisen. Dann trifft den Arbeitgeber die Beweislast, dass keine Diskriminierung vorliegt. (Diese Beweislastverteilung steht in Widerspruch zu mehreren europäischen Richtlinien, wonach der Diskriminierte die Benachteiligung durch den Arbeitgeber lediglich glaubhaft machen muss.)

Fazit: Ob Vorgaben umgesetzt sind

Nicht nur aufgrund der bisher noch weitgehend ausstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung und zahlreicher Rechtskonflikte, gerade auch bezüglich der Widersprüche zu EU-Richtlinien, bleibt abzuwarten, ob dem Gesetzgeber mit dem AGG wirklich der große Wurf in der arbeitsrechtlichen Praxis gelungen ist.

Auf die Auswirkungen, die das Gesetz für den Online-Handel, Versicherungsabschlüsse und andere privatrechtliche Verhältnisse hat, geht Teil 2 dieser Serie näher ein.

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