Für die Probezeit gilt nur der Ausbildungsvertrag
Von Sabine Wagner
In vielen Fällen sind Auszubildende keine ganz neuen Gesichter in der Firma. Oft haben sie z.B. schon als Ferienaushilfen gearbeitet oder ein Praktikum absolviert. Für die Dauer der Probezeit sind solche Vorlauf- und Überbrückungszeiten aber ohne Bedeutung: Mit Urteil vom 19. November 2015 (Az.: 6 AZR 844/14) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Praktikum, das dem Lehrvertrag vorausgeht, nicht auf die Probezeit des Auszubildenden anzurechnen ist.
Praktikantenvertrag direkt vor der Ausbildung
Der Kläger hatte sich bei der Beklagten erfolgreich um einen Ausbildungsplatz beworben. Zur Überbrückung der Zeit bis zum Beginn der Ausbildung konnte er bei derselben Firma ein Praktikum machen. Beide Seiten schlossen also zunächst einen Praktikantenvertrag, der einen Tag vor Beginn des Ausbildungsvertrags endete. Der Ausbildungsvertrag umfasste eine dreimonatige Probezeit, die mit Beginn des Ausbildungsverhältnisses zu laufen begann. Allerdings kündigte das Unternehmen das Berufsausbildungsverhältnis schriftlich am Ende der Probezeit mit Wirkung zum Ende der Probezeit.
Der Kläger vertrat nun die Auffassung, dass diese Kündigung unwirksam sei, da sie erst nach Ablauf der Probezeit erklärt worden sei. Seiner Ansicht nach war die Zeit des Praktikums mitzurechnen; dann hätte die Probezeit bereits vor Wochen geendet, ohne dass ihm das Ausbildungsverhältnis zu diesem Zeitpunkt gekündigt worden wäre. Die Anrechnung der Praktikumszeit hielt der Kläger für gerechtfertigt, da sich die Beklagte bereits während des Praktikums ein umfassendes Bild von ihm machen konnte.
Das Ergebnis des Verfahrensgangs: Durch alle Instanzen bekam der Kläger nicht recht.
Entscheidungsgrundlagen aus dem Berufsbildungsgesetz
§ 20 BBiG (Berufsbildungsgesetz) schreibt zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses zwingend eine Probezeit vor. Die Probezeit dient dazu, dass beide Vertragsparteien ausreichend Gelegenheit bekommen, zu klären, ob alle wesentlichen Umstände für die konkrete Ausbildung passen.
Ein Praktikum hat dagegen andere Rahmenbedingungen als ein Ausbildungsverhältnis. Deshalb kann dem Bundesarbeitsgericht zufolge die Dauer eines vorangegangenen Praktikums nicht auf die Probezeit des Berufsausbildungsverhältnisses angerechnet werden – ganz gleich, welche Inhalte und Zielsetzungen das Praktikum hat. Das Gleiche gilt für Zeiten aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis (BAG-Urteil vom 16. Dezember 2004, Az.: 6 AZR 127/04). Allein ausschlaggebend sind der Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses und die im Berufsausbildungsvertrag vereinbarte Probezeit.
Aus diesen Gründen konnte das Unternehmen zu Recht am Ende der vertraglich geregelten Probezeit gemäß § 22 Abs. 1 BBiG ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen.
Fazit: Eine Azubi-Kündigung muss formsauber sein
Um eine Kündigungsschutzklage zu vermeiden, sollten Unternehmen bei einer Azubi-Kündigung unbedingt und peinlich genau alle Fristen und Formvorschriften einhalten, besonders dann, wenn der Personalrat involviert ist oder wenn die Auszubildenden noch minderjährig sind. Die Anschlussfrage, ob der Berufsausbildungsvertrag auch noch nach der Probezeit gekündigt werden kann, beantwortet § 22 Abs. 2 BBiG. Nach Ablauf der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis nur unter einer der beiden folgenden Voraussetzungen gekündigt werden:
- Der Arbeitgeber kann Auszubildenden nach der Probezeit ohne Kündigungsfrist „aus einem wichtigen Grund“ kündigen, z.B. wenn der Auszubildende die Zeiterfassung des Ausbilders manipuliert und andere Auszubildende anstiftet, es ihm nachzutun.
- Der Auszubildende kann mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen das Ausbildungsverhältnis kündigen, wenn er entweder die Ausbildung komplett abbricht oder sich umorientiert und eine andere Ausbildung beginnen will.