Es kann nur eine geben
Von Sabine Wagner
In der Vergangenheit konnte ein Arbeitnehmer mehrere „regelmäßige Arbeitsstätten“ haben. Nach der früheren Rechtsprechung reichte es, dass er arbeitsvertraglich verpflichtet war, in mehreren betrieblichen Einrichtungen seines Arbeitgebers zu arbeiten. Eine regelmäßige Betriebsstätte lag bereits vor, wenn er im Jahresdurchschnitt in einer Arbeitswoche ein Mal diese Arbeitsstätte aufsuchte. Das musste nicht einmal ganztägig sein (es galt die so genannte 46-Tage-Regelung) – wenige Minuten waren bereits ausreichend. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat seine bisherige Rechtsauffassung Ende 2011 jedoch geändert.
Der Begriff „Arbeitsstätte“ hat sich dabei folgenschwer geändert. Es gilt jetzt, das Folgende zu beachten:
- Jeder Arbeitnehmer hat nur eine regelmäßige Arbeitsstätte.
- Diese Arbeitsstätte ist ortsgebunden
- und hat für den Arbeitnehmer eine zentrale Bedeutung (im Gegensatz zu anderen betrieblichen Einrichtungen).
- Die zentrale Bedeutung wird an Hand der Kriterien Qualität und Quantität festgestellt.
- Sofern keine Feststellung möglich ist, liegt eine Auswärtstätigkeit vor (und der Arbeitgeber hat z.B. die Reisekosten des Arbeitnehmers zu erstatten).
Änderung ohne Übergang
Diese Änderungen finden sich in den Urteilen des BFH vom 9. Juni 2011 VI R 55/10; VI R 36/10; VI R 58/09 und führten zu folgenden Entscheidungen:
- Bei einem Arbeitnehmer, der für 15 Filialen zuständig ist, liegt eine Auswärtstätigkeit vor.
- Eine regelmäßige Arbeitsstätte kann nicht am Betriebssitz des Arbeitgebers festgestellt werden, wenn der Arbeitnehmer dort nicht seiner eigentlichen Tätigkeit nachkommt, sondern den Betriebssitz nur zu Kontrollzwecken oder zur Vereinbarung von Absprachen aufsucht.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 (BMF, 15.12.2011, IV C5-S 2353/11/10010) hat das Bundesministerium für Finanzen eine Verwaltungsanweisung zu der geänderten Rechtsprechung erlassen. Demnach gelten die Grundsätze der Rechtsprechung für alle offenen Fälle. Es gibt also keine Übergangsfristen.
Neudefinition Tätigkeitsmittelpunkt
Eine regelmäßige Arbeitsstätte liegt vor, wenn
- eine solche im Arbeits- oder Dienstvertrag (sinnvoll: schriftlich) festgelegt wurde oder wenn
- der Arbeitnehmer in einer Betriebsstätte entweder pro Arbeitswoche einen vollen Arbeitstag dort tätig ist bzw.
- mindestens 20 % seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit dort tätig werden soll (so genannte Prognoseentscheidung).
Wer hiervon abweichen will, muss der Finanzbehörde nachweisen und glaubhaft machen, dass der inhaltlich qualitative Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit (der so genannte Tätigkeitsmittelpunkt) an einer anderen Betriebsstätte liegt.
Also: Sofern Ihr Unternehmen Mitarbeiter hat, die an verschiedenen Orten arbeiten, prüfen Sie bitte, ob eine regelmäßige Arbeitsstätte vorliegt oder eine Auswärtstätigkeit.
Im Fall einer fernmündlichen Auskunft ist es empfehlenswert, zu zweit mit dem Finanzamt zu telefonieren, dies Ihrem Gesprächspartner auch offen zu legen und anschließend eine Aktennotiz von diesem Gespräch zu verfassen (Datum, Uhrzeit, Gesprächspartner beim Finanzamt, Thema, Inhalt der Auskunft des Finanzamtes, interner Teilnehmer des Telefonats).
Sollten Sie sich nicht sicher sein, wie Sie zukünftig bezüglich des einen oder anderen Mitarbeiters die regelmäßige Arbeitsstätte festzulegen haben, dann können Sie bei Ihrem zuständigen Betriebsstättenfinanzamt eine so genannte Lohnsteueranrufungsauskunft einholen. Ihr Finanzamt ist zu dieser kostenlosen Auskunft verpflichtet.
Sobald Sie eine regelmäßige Arbeitsstätte festgelegt haben, greifen deutliche Lohnsteuerentlastungen sowie eine vereinfachte Handhabung, da insgesamt aufwändige Berechnungen sowie die Berechnung von Differenzkilometern entfallen.
Änderungen des Lohnsteuerabzugs gehen nur für das Jahr 2011 unter der Voraussetzung, dass die Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung noch nicht erfolgt ist. Alternativ kann dies aber auch über die Einkommenssteuererklärung korrigiert werden.
Steuerrechtliche Auswirkungen
Firmenwagen
Wenn eine regelmäßige Arbeitsstätte gegeben ist, gilt für Firmenwagen: Zu versteuern sind 1 % des Listenpreises für Privatfahrten sowie pauschal 0,03 % des Listenpreises/km für die Strecke von der Wohnung hin zum Arbeitsplatz. Letzteres kann wahlweise ersetzt werden durch den geldwerten Vorteil, der nach der 0,002 %-Regelung ermittelt wird (Schreiben des BMF vom 1. April 2011 – IV C 5-S 2334/08/10010).
Sofern ein Fahrtenbuch geführt wird, sind die Vorteile der entsprechenden Fahrten zu versteuern.
Reisekosten
Es werden zukünftig mehr Auswärtstätigkeiten vorliegen und damit mehr Reisekosten zu erstatten sein. Dies betrifft auch den steuerfreien Spesenersatz, der z.B. für Dienstreisen innerhalb Deutschlands 6 Euro bei einer Abwesenheitsdauer von mehr als 8 h, 12 Euro bei mehr als 14 h Abwesenheit sowie 24 Euro bei 24 h pauschal beträgt.
Ferner werden Fahrtkosten bei Fahrten mit dem Privatwagen steuerfrei ersetzt: pauschal 0,30 Euro/km ohne Einzelnachweis.